Gegenschatz
morgen wieder fit bist!»
«Danke!», antworte ich und lege hastig auf. Ich schüttele mich, um das ungute Gefühl los zu werden, das seine Stimme in mir ausgelöst hat.
«Dem Arsch hättest du ruhig ordentlich die Meinung sagen sollen!», schimpft Tamara, die das Gespräch mit angehört hat.
«Ach, was bringt das? Morgen ist er eh verschwunden!»
«Wie du meinst! Aber ich muss jetzt los. Meine Kunden warten auf ihre Schönheitskur. Wir sehen uns heut Abend, ja?»
«Na klar! Viel Spaß auf der Arbeit!»
Damit ist Tamara zur Tür hinaus und auch ich mache mich für den Stadtbummel bereit. Ich will es mir so richtig gut gehen lassen und möglichst jeden Gedanken an Marc beiseite schieben. Ich lasse mir vom Hairstylist rötliche Strähnen aufschwatzen und trage die Haare tief zusammengebunden im Beach-Look. Das lässt sich sicherlich noch optimieren, aber fürs erste gefalle ich mir. Beim Shoppen finde ich eine Bluse mit verboten weitem Ausschnitt und ein bauchfreies Top, zu dem der weite Rock, den ich dazu kaufe, hervorragend passt. Schuhe, die bis fast zu den Knien um die nackten Beine geschnürt werden müssen, gefallen mir auf Anhieb. Accessoires, wie Tücher und Handtaschen waren bei mir bisher immer eher Mangelware, deshalb suche ich mir eine ganze Palette an Seidentüchern in verschiedenen Mustern und Farbtönen zusammen. Für das Mittagessen finde ich ein Restaurant, das Stühle und Tische zwischen Büschen und Bäumen in Blumentöpfen auf der Fußgängerzone aufgestellt hat. Ich setzte mich an einen leeren Tisch und beobachte zufrieden die vorübergehenden Leute, während ich eine Forelle mit Frühlingsgemüse genieße. Mal wieder ist es ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit und ich freue mich über die wärmenden Sonnenstrahlen in meinem Gesicht.
Nach dem Essen fühle ich mich mutig genug, das Tattoostudio aufzusuchen, das Tamara mir empfohlen hat. Mit klopfendem Herzen trete ich ein. Wie zu erwarten, begrüßt mich ein über und über mit Tätowierungen bedeckter Mann. In seinem linken Nasenflügel steckt ein Ring. Er mustert mich wortlos, als ich eintrete. Ich fühle mich unwohl, frage aber dennoch nach einem Katalog mit Vorlagen für Schmetterlinge. Wieder wortlos holt er ein dickes Buch hervor und blättert mit seinen kräftigen Fingern darin herum, bis er die Seiten mit den Schmetterlingen aufschlägt. Die meisten gefallen mir überhaupt nicht. Ich blättere vor und zurück, bis ich ihn plötzlich sehe – bunt und elegant, mit geschwungenen, spitz zulaufenden Flügeln. Die Adern sind tief schwarz und dazwischen leuchten bunte Flächen, wie die kleinen Scheiben von Kirchenfenstern.
«Was kostet das?», erkundige ich mich und zeige auf den Schmetterling.
«Zweihundert!», antwortet der Mann und zum ersten mal höre ich seine tiefe Bassstimme.
«Wann kann ich das machen lassen?»
«Jetzt gleich! Ich hab heute Zeit! Wo?»
«Hier über dem Po!»
Ich deute auf die Stelle und er nickt stumm. Na das können ja unterhaltsame Stunden werden, denke ich voller Ironie.
«Alkohol oder Drogen?», brummt er.
«Wie bitte?» Ich glaube mich verhört zu haben. Bietet er mir jetzt Drogen an? «Nein, Danke!», antworte ich nachdrücklich.
Ein Grinsen erhellt das bis dahin gelangweilte Gesicht.
«Hast du Alkohol oder Drogen genommen?»
«Äh, ach so! Nein!», antworte ich schließlich verlegen. «Kann man sich dann nicht tätowieren lassen?»
«Nein!», brummt er wieder kurz. «Dann zieh dich aus und leg dich da hin!» Der Tätowierer schiebt einen Vorhang beiseite und deutet auf eine Liege im Hinterzimmer. Jetzt wird mir plötzlich mulmig zumute. Ist das wirklich die richtige Entscheidung? Ich sollte vielleicht noch etwas länger darüber nachdenken. Ach was? Der Schmetterling ist wie für mich gemacht und im Alltagsleben sieht ihn ja niemand. Ich ziehe mein Kleid aus, und lege mich nur mit Unterwäsche bekleidet auf die Liege. Der Tätowierer beginnt sofort, die Stelle zu säubern und sterilisieren.Dann werden vorhandene Haare mit Einweg-Rasierern entfernt. Im Anschluss wird die Stelle noch einmal mit Alkohol und Betadine gesäubert, wie ich an der Aufschrift des Fläschchens erkennen kann. Jetzt geht es los und mein Herz schlägt doppelt so schnell vor Aufregung. Aua! Ich wusste, dass es weh tun würde und ich hatte mich leider nicht geirrt.
Nach zwei Stunden Schmerzen bin ich fertig. Als ich aufstehen will, wird mir schwindelig und ich sehe weiße Sterne. Der Tätowierer reicht mir ein Glas Wasser
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