Gegenschatz
sagt Bernd in strengem Ton, als er seine Sprache wiederfindet.
In diesem Augenblick entscheide ich, dass ich meinen Zweitnamen nicht ausstehen kann. Er klingt einfach viel zu brav!
«Wie siehst du aus? Das ist absolut unter deinem Niveau!»
«Warum? Es gefällt mir und es steht mir fantastisch!», antworte ich fest und es fühlt sich gut an, zu mir zu stehen.
«Wir haben kein Geld in deine Ausbildung gesteckt, damit du so aus der Rolle fällst!», wettert mein Vater.
«Findet ihr nicht, dass es zu weit geht, dass ihr euch in meinen Kleidergeschmack einmischt? Das ist doch ganz alleine meine Sache!»
«Als unsere Tochter hast du uns mit Respekt zu behandeln und dazu gehört, dass du den Leuten keinen Anlass für Gerede gibst. Von Tamara sind wir das ja gewohnt, aber du enttäuschst uns maßlos!», mischt sich nun meine Mutter ein. Tamara streckt ihr die Zunge raus, als spiele sie ein trotziges kleines Mädchen.
«Du solltest dich von Tamara fern halten. Sie hat einen schlechten Einfluss auf dich!», ergänzt Bernd.
«Nein, das stimmt nicht! Tamara will, dass ich glücklich bin! Ihr wollt mich nur als euer Statussymbol perfektionieren, egal wie es mir dabei geht!»
«Wie kannst du nur so etwas sagen, natürlich wollen wir nur dein Bestes, Julia!», empört sich Eva.
Jetzt will ich alles auf eine Karte setzten. Ich weiß nicht, was mich da reitet, aber ich muss meine Eltern auf die Probe stellen.
«Im Übrigen werde ich meine Arbeitsstelle aufgeben. Ich habe ein Engagement als Gitarristin in einer Band angenommen. Der Bandleader und ich sind nämlich ein Paar!»
Die beiden schauen, als hätten ich sie mit der blanken Faust ins Gesicht geboxt.
«Da… das kannst du doch nicht, Julialein!», stottert Eva schockiert.
«Wenn du das tust, Julia Maria», schreit mein Vater außer sich vor Wut, «dann bist du nicht mehr unsere Tochter!»
Ich starre ihn mit zusammengekniffenen Augen an und unsere Blicke verbrennen die Luft zwischen uns. Ich brauche keine Eltern, die mich nicht lieben, wie ich wirklich bin, denke ich immer wieder. Ich stelle fest, dass ich stärker bin, als ich dachte, als mein Vater schließlich resigniert den Blick abwendet.
«Komm, wir gehen, Eva! Hier haben wir nichts mehr verloren!», sagt Bernd zu seiner Frau und zieht sie zur Tür. Ich höre Eva noch laut aufschluchzen. Als sie draußen sind, renne ich zum Eingang und brülle ich ihnen wütend hinterher, so dass es durch das ganze Treppenhaus hallt:
«Ich verzichte auf Eltern, die mich nicht so lieben, wie ich wirklich bin!»
Dann schlage ich die Tür ins Schloss und sinke zu Boden. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen und schluchze laut auf. Tamara setzt sich sofort neben mich und legt mir tröstend ihren Arm um die Schulter. Ich schmiege mich an sie und heule laut los. Auch wenn ich gerade eben noch so stark war, schmerzt es mich höllisch, schließlich zu erkennen, wie meine Eltern wirklich sind.
«Gut gemacht, Schwesterchen! Die beruhigen sich schon wieder, glaub mir!», versucht mich Tamara zu trösten. Aber mir geht es hundeelend. Neben dem Liebeskummer um Marc ist jetzt auch noch der Schmerz wegen meiner Eltern hinzugekommen. Ich habe alle vergrault und vor den Kopf gestoßen und ich bin so durcheinander, dass ich nicht mehr weiß, ob das alles richtig oder falsch war. Ich spüre nur noch, dass es schmerzt.
«Komm, wir machen uns einen schönen Heimkinoabend!», schlägt Tamara vor. «Wir bestellen uns zwei dicke Pizzen und ziehen uns dann ein paar gute Filme rein!»
Ich wische mir die Tränen fort und nicke.
«Zuerst sehen wir etwas trauriges, damit du dich so richtig ausheulen kannst und wenn alle Tränen versiegt sind, gehen wir zu was lustigem über. Ich schlage vor, zuerst schauen wir ‘Wie ein einziger Tag’, dann ‘Und täglich grüßt das Murmeltier’ und zum Schluss ‘Bruce Allmächtig’!»
Tamaras Idee funktioniert so gut, dass tatsächlich die Tränen beim letzten Film nicht vor Trauer, sondern vor Lachen fließen. Ich kann mich überaus glücklich schätzen, eine Schwester wie Tamara zu haben.
Draußen ist es schon dunkel, als ich mich auf die Heimfahrt begebe. Am liebsten hätte ich noch einmal bei Tamara übernachtet, aber da ich am kommenden Tag wieder arbeiten muss und ich keine Lust habe, früh morgens hundert-dreißig Kilometer zu fahren, setze ich mich lieber jetzt ins Auto. Auf der Fahrt durch die dunkle Nacht wird mir zunehmend flau im Magen, als ich mich meinem Zuhause nähere. Wie wird Marc
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