Gegenschatz
und als ich es getrunken habe, gibt er mir einen Spiegel. Ich bin restlos begeistert. Die Farben leuchten prächtig und ich finde es gut gelungen. Nur, dass die Haut an der Stelle stark gerötet ist, stört mich etwas. Leider wird das Tattoo erst einmal mit einem Schutzverband abgedeckt, so dass ich es Tamara erst am nächsten Tag zeigen kann. Ich bezahle und bekomme noch eine Creme in die Hand gedrückt, mit der ich das Tattoo pflegen soll. Dann bin ich entlassen. Ein bisschen komisch fühle ich mich jetzt schon, aber auch erleichtert, dass ich mich tatsächlich getraut habe. Die Stelle schmerzt und juckt noch immer, aber ich versuche, das zu ignorieren. Ich setzte mich in das Café auf dem Dach eines Kaufhauses und genieße die Aussicht über die Stadt. Dann schlendere ich noch einmal durch die Straßen und kaufe ein paar Klamotten. Als ich am späten Nachmittag bei Tamara eintreffe, ist sie schon von ihrer Arbeit zurück.
«Hey, Schwesterherz! Du siehst richtig gut aus - neue Frisur, braun gebrannt und mit einem Strahlen im Gesicht! Du hast den Tag richtig genossen, was?»
«Ja, hab ich! Und du wirst staunen!»
«Sag bloß, du hast ernst gemacht mit dem Tattoo!»
Ich nicke grinsend.
«Ich würde es dir so gerne zeigen, aber da ist noch der Schutzverband drauf!»
«Schade! Da muss ich mich wohl noch gedulden! Aber was steckt da in den tausend Tüten, die du mit dir rumschleppst?»
Wir begutachten zusammen meine Einkäufe, als Tamara das bauchfreie Top und den Rock in die Höhe hält.
«Damit würde ich dich ja zu gerne einmal sehen!»
«Kein Problem! Die Modenschau kann beginnen!»
Ich schlüpfe in die neue Kleidung und ziehe mir dazu auch noch die neuen Schuhe an, die bis zu den Knien geschnürt werden müssen. Dann betrachte ich mich im Spiegel. Ich erkenne mich kaum wieder. Die brave Prinzessin Julia hat sich in die coole Jule verwandelt.
«Wow! Julia, das steht dir verdammt gut! Wenn dein Marc dich so sehen könnte, würde er jedes Mädel vergessen, das er je angesehen hat.»
Sogleich verfinstert sich meine Mine wieder. An Marc will ich nun ganz und gar nicht denken.
«Sorry! Dumm von mir, dich an ihn zu erinnern!»
«Schon gut! Spätestens morgen Abend werde ich ihm sowieso wieder über den Weg laufen.»
«Ach schade, dass dieser alberne Verband noch über deinem Po klebt! Ich bin schon so gespannt, wie das Tattoo mit diesem Outfit wirkt!»
«Hm, meinst du, ich kann ihn nur mal kurz abnehmen?»
«Ach, so schlimm wird das schon nicht sein!»
Ich kann einfach nicht widerstehen, Tamara meine neue Errungenschaft zu präsentieren und so ziehe ich vorsichtig den Verband ab und betrachte mich zufrieden von allen Seiten im Spiegel.
«Echt genial! Da bekomme ich glatt Lust, mir noch ein weiteres stechen zu lassen!», schwärmt Tamara und streichelt sanft über die blaue Libelle, die auf ihrer Schulter hinter den Spaghettiträgern ihre Kleides hervorlugt.
Da klingelt es plötzlich an der Tür und Tamara öffnet. Vom Wohnzimmer aus sehe ich meine Eltern im Türrahmen stehen und erstarre. Sofort fühle ich mich wie ein kleines Mädchen, das etwas angestellt hat.
«Hey Leute, welche Ehre, dass ihr mich auch mal besucht!»
«Wir kommen, um dir ins Gewissen zu reden, Tamara. Wir hoffen, dass wir dich mit Julias Hilfe endlich zur Vernunft bringen werden!», sagt mein Vater eindrücklich.
Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen, als ich höre, wie meine Eltern eintreten. Verdammt, ich bin eine erwachsene Frau!
‘Das kann doch nicht sein, dass ich mich noch so von den Alten einschüchtern lasse!’, schimpfe ich mit mir selbst. Ich stelle mich aufrecht hin, atme tief ein und gehe meinen Eltern mit erhobenem Haupt entgegen, um sie zu begrüßen. Als sie mich sehen, rutscht beiden die Kinnlade schier bis zu den Füßen. Meinem Vater gleitet dabei fast die dicke Brille von den Augen und meine Mutter lässt ihre Handtasche bis zum Boden sinken. Der vollkommen perplexe Ausdruck in ihren Gesichtern wirkt fast komisch auf mich. Meine Eltern stehen erschlagen und sprachlos vor mir. Nur Tamara lässt sich von der entstandenen Spannung nicht im geringsten beeindrucken.
«Na, wie gefällt euch eure wunderhübsche Tochter? Julia hat sich doch prima herausgeputzt. Und das neue Tattoo ist doch wirklich gelungen, findet ihr nicht?»
Der Spott in ihrer Stimme ist unüberhörbar. Natürlich gilt er nicht mir, sondern Eva und Bernd. Beide schnappen hörbar nach Luft, als Tamara das Tattoo erwähnt.
«Julia Maria!»,
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