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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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Vorstellungstermin für einen Job bei einer Firma für Segelbekleidung, auf dem Logo rauchte ein Matrose mit Seemannsmütze seine Pfeife. Auf die Frage: Haben Sie einen Führerschein?, hatte er geantwortet: Ja, natürlich. Er sollte an der Küste entlangfahren und jeden Ort besuchen, dieser Job war seine letzte Chance, er konnte nicht einmal mehr den Wohnwagen bezahlen.
    »Hat man wenigstens den Strom wieder angestellt?«
    »Ja. Der Betreiber ist früher als geplant zurückgekommen. Er hat sich gelangweilt auf den Malediven. Immer schönes Wetter. Ein blödes Land, wo es nie regnet.«
    Er fing an, das Lied von Brassens zu summen, das schien ihn zu entspannen. Ich dachte an meinen Vater, wie er samstags nach dem Steak-Frites-Ritual im bequemen Ledersessel mit geschlossenen Augen Brassens hörte, seine Lippen formten die Worte, wenn sein Mund nicht gerade lächelte. Manchmal wurde er lauter und sang unisono mit dem Meister, er hatte eine weiche, tiefe Stimme, ich hörte ihn gern singen. Ich legte am Wohnzimmertisch ein Puzzle oder machte meine Hausaufgaben, im Ofen bräunte ein Kuchen, den wir zum Spiel essen würden, die Wintersonne schien ins Zimmer, und Mama würde sich zu uns setzen, auf dem Bildschirm würde Jean-Pierre Rives bluten und dicke feuchte Erdklumpen würden aus dem Rasen auffliegen.
    Wir kehrten quer durch die Felder in die Stadt zurück, die Sträßchen waren voller Löcher, ein richtiges Labyrinth, man hätte sich verirren können, manchmal endeten sie an einem Hof, und wir mussten umkehren, die Hunde liefen uns bellend hinterher. Soweit ich es beurteilen konnte, machte Bréhel seine Sache gar nicht schlecht. Wir hatten die Idee mit der Prüfung fallenlassen, und er war wieder gesprächig und grüblerisch wie gewohnt. Es ginge abwärts mit uns, mit dem ganzen Land, meinte er, und ich sah es nicht viel anders, etwas Verschimmeltes wäre in der Luft, ein ranziger Beigeschmack von Arbeit Familie Vaterland, verbunden mit einer obszönen Straffreiheit, man sortierte die Ausländer wie Vieh, ständig hieße es »wer will, der kann« und »man bekommt, was man verdient«, man führte den Armen vor, wie viel Geld man hatte, wollten sie mehr, brauchten sie ja nur mehr zu arbeiten, das sähe doch jeder, das wäre klar wie Kloßbrühe, die Zeitungen der ganzen Welt wären voll davon, aber es änderte nichts, das hypnotisierte Volk hätte sich einschläfern lassen, es wäre zu spät, mit einem Lächeln auf den Lippen würde es sich fressen lassen. Und Sie werden sehen, es reicht ihm immer noch nicht. Ich ließ ihn auf dem Platz aussteigen, er hatte Besorgungen zu machen und das Bedürfnis, zu Fuß zu gehen. Aus dem bleiernen Himmel goss es. Ohne Schirm oder Kapuze marschierte er durch den Regen, als wäre nichts.
    An der Bushaltestelle wartete der Neue, in sein Palästinensertuch gehüllt und mit winzigen roten und weißen Pickeln übersät. Sein tiefschwarzes halblanges Haar klebte in nassen Strähnen am Kopf. Ich hupte, und er kam träge zum Auto geschlurft. Ringsum an Strommasten, Glastüren, Schaufenstern, Telefonzellen hing das schlecht gedruckte und stockfleckige Plakat von Justines Gesicht. Ich warf einen Blick auf meinen Zettel, er hieß Lukas, sein schmales, eckiges Gesicht ragte kaum aus seinem Tuch hervor. Seine Lippen murmelten einen unhörbaren Gruß. Ich beobachtete, wie er seinen Sitz und die Rückspiegel einstellte, Autofahren schien ihn nicht zu begeistern, und letztlich, glaube ich, wäre er lieber stehengeblieben und hätte dem Scheibenwischer zugeschaut. Er konnte sich offenbar nicht entschließen, aufs Gaspedal zu treten. Wir blieben eine Weile untätig sitzen, auf der anderen Seite der Windschutzscheibe versanken die Häuserblocks im Regen, dunkler und trister denn je. Johnny eilte mit einer Plastiktüte voll Lauch nach Hause. Er hatte O-Beine und einen Watschelgang, halb Cowboy, halb Seemann. Sein Blick fiel aufs Auto, und er winkte in unsere Richtung. Ich fragte mich, ob er mich oder den Jungen meinte.
    »Kennst du ihn?«
    »Ja, ein bisschen. Das ist ein Arschloch.«
    »Sieht so aus. Justine hatte bei mir Fahrstunden. Hast du sie auch gekannt?«
    »Sprechen Sie von ihr schon in der Vergangenheit?«
    Er sagte das so schroff, so verächtlich, ich fand keine Antwort darauf. Es war unverzeihlich von mir. Auch ich ertrug es nicht, dass man von Sarah im Imperfekt sprach. Ich erklärte, die Stunde fange an, er blinkte und wir holperten los in Richtung Einkaufszentrum. Für einen, der schon die

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