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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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Mund suchte nach Luft. Aber da waren nur reihenweise graue Grabsteine und Kreuze, die hohen Mauern schienen uns für immer hierbehalten zu wollen. Alles spielte sich in vollkommenem Schweigen ab. Der Regen prasselte auf die wasserdichten Stoffe. Die Schuhe knirschten auf dem Kies. Die Rosen wankten auf dem Sarg. Nur die Autos erinnerten daran, dass draußen das Leben weiterging. Niemand sagte etwas. Stumm sahen wir zu, wie der Sarg in die Grube gesenkt wurde, und versuchten, Haltung zu bewahren. Einigen gelang es weniger gut als anderen, der Junge und sein Großvater waren nur noch ein Häufchen Elend. Um sie herum herrschte Betretenheit, niemand konnte es wirklich fassen. Nach und nach verließen wir den Friedhof, vom Alkohol hatte ich etwas weiche Knie, ein wattiges Gefühl, die Geräusche drangen nur gedämpft zu mir, alles verschwamm im Regen. Der Augenblick hatte nicht mehr Beständigkeit als ein Nebelschweif. Am Ausgang traf ich mit dem Jungen zusammen. Er war blass, seine Augen flackerten. Er sei immer willkommen, wenn er am Boxsack trainieren oder mit Clément spielen wolle, meine Tür stehe immer offen. Das war alles, was ich herausbrachte, meine Zunge war belegt, das Mitleid schnürte mir die Kehle zu. Er nickte und bedankte sich mit zitternder Stimme. Außer Alain sei ich der einzige Mensch, der seinem Vater jemals geholfen hätte. Solche Worte aus dem Mund eines Kindes zu hören, das konnte einen wirklich umhauen. Ich nahm mich zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen. Er reckte mir sein Kindergesicht entgegen, ich hätte ihn am liebsten in den Arm genommen und getröstet. Seine Mutter kam in Begleitung eines Mannes zu uns, er nahm mich beiseite und reichte mir seine Karte wie am Ende eines Arbeitstreffens. Wenn ich irgendetwas bräuchte, sollte ich nicht zögern. Ich warf einen Blick darauf und konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Ein nervöses, unbezähmbares Kichern. Direkt unter dem Logo Honda lächelte Jean-Luc Grosboul mit gelverklebtem Haar. Ich entschuldigte mich und lief auf die Straße. Ich hörte gerade noch, wie er mich Trottel nannte. Auf der anderen Seite der Friedhofsmauer hatte man das Gefühl, aus einem fensterlosen verschlossenen Raum zu kommen. Plötzlich strömte wieder Luft in die Lungen, der Wind fuhr durch die Straßen, und der Regen durchnässte einen schneller, als man gehen konnte. Auch die Geräusche klangen jetzt wieder normal. Ich kehrte zum Auto und meiner Flasche zurück. Ich trank einen großen Schluck, die sirupartige Flüssigkeit breitete sich in mir aus, sickerte in meinen Bauch und meine Arme und bis in die Fingerspitzen, ich spürte, dass sie mir neuen Halt gab. Ich stieg wieder aus und ging schwankend bis zum wogenden Meer, der Regen war nur noch ein leichtes Nieseln und hüllte mich ein. Am Wasser blies es heftig, ich war betrunken und durchnässt, ich wollte mich vom Wind wiedererwecken lassen. Ich lief direkt auf die Landspitze zu, Brombeerranken kratzen mich an den Knöcheln, Dornen blieben an meinem Hemd hängen. Die Kapelle, umgeben von feuchtem Grün und ein paar mageren Heidekrautbüschen, überragte die grauen Fluten. Meine Schritte dröhnten in meinem Schädel, meine Füße sanken in die schwammige Erde der Pfade ein. Ich kaute Kräuter, knabberte an Zweigen, kostete von der Erde, lutschte an Steinen. Ich dachte an die Kinder, sie waren in der Schule und fehlten mir, wie Thomas stocherten sie im Dunkeln, und es wurde nie wirklich hell. In den letzten Tagen hatte ich gespürt, wie sie erstarrten, die Hoffnung auf einen Neuanfang war trügerisch gewesen, Clément zeigte stets dasselbe gleichgültige, unbeteiligte Gesicht und quittierte alles, was ich ihm vorschlug, Fußballspielen Drachensteigenlassen Aquarium Riesenschildkröte und weißer Hai, mit einem Achselzucken. Manon wiederum war nicht mehr aus meinem Bett zu bringen, sie weigerte sich, in ihrem Zimmer einzuschlafen, und wenn ich sie in ihr Bett tragen wollte, wachte sie schreiend auf. Ich beobachtete sie die ganze Nacht, sie weinte noch im Schlaf. Der Weg führte abwärts, über die Felsen gelangte man auf den Sand und zu den auf dem Trockenen liegenden Segelbooten. Ich wählte ein blauweißes. Meine Füße sanken in den Schlick ein, manchmal ging mir das Wasser bis zu den Waden. Ich zog mich aufs Deck hoch, die Kajüte war offen und winzig, ich holte meine Flasche aus der Manteltasche und leerte sie, auf der Bank ausgestreckt. Durch die schmalen Bullaugen sah ich die Sandwüste und die

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