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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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das war noch gar nichts. Dann verkündete eine Stimme, es ginge nun richtig los, und bevor wir noch zittern konnten, waren wir schon kopfüber in einen Sog geraten, der mich an meine Todesträume erinnerte, ich fuhr oft aus dem Schlaf hoch mit dem Gefühl, man hätte mich ausgesaugt, ich hätte mich durch einen gewaltigen Atemzug aus mir selbst herausgezogen. Leichenblass und mit verdrehtem Magen kamen wir wieder auf den Boden, der noch minutenlang schwankte. Clément wollte, dass ich seine Waffel probierte, ich hätte mich fast übergeben. Für solche Dummheiten war ich zu alt. Ich verzichtete aufs Autoskooter-Fahren und begnügte mich damit, zu bezahlen und mit Manon zuzuschauen. Isabelle und Clément nahmen jeder ein Auto, aus den Lautsprechern kam Schlagermusik, die gerade Mode war, das meiste hatte ich noch nie gehört, was kein Verlust war, Sarah machte sich immer darüber lustig, dass ich mich nicht an feindliche Klangumfelder anpassen konnte: Du möchtest ja wohl nicht, dass sie von morgens bis abends Leonard Cohen auflegen, scherzte sie zwischen den Supermarktregalen oder im Café, wo wir auf Plastikstühlen geduldig ausharrten, während die Kinder sich endlos auf Holzpferden drehten.
    Der Typ an der Kasse gab mir auf den Zwanziger, den ich ihm hingestreckt hatte, fünf Euro zurück. Ich wartete brav auf mein Wechselgeld.
    »Nein, Sie haben mir nur zehn gegeben.«
    Er sagte das so schmierig und höhnisch, dass man nur schweigen oder zuschlagen konnte. In einem anderen Augenblick meines Lebens hätte ich mich bestimmt für die zweite Lösung entschieden, und irgendwie glaube ich, angesichts der Umstände hätte es mir gutgetan, seine Nase unter meiner Faust zu spüren. Aber ich ließ es bleiben. Ich sammelte meine Tickets ein, während er an seiner billigen Zigarre zog. In seinem Mund glänzten falsche Silberzähne. Die zehn Euro konnten mir gestohlen bleiben, ich hatte so schon genug Ärger. Ich gab Clément die Tickets, und sie kurvten los, keine Minute später begann das Gemetzel, sie fuhren auf alles drauf, was sich bewegte, der Kleine wirkte am Steuer seines Rennwagens recht grimmig. Wir beobachteten sie eine Weile, dann gingen wir weiter zum Riesenrad, Manon schaute sehnsüchtig hinauf und überlegte, ob es hoch genug wäre, um das Meer sehen zu können.
    »Das überprüfen wir, bevor es ganz dunkel wird«, sagte ich, und wir setzten uns einander gegenüber in die Gondel.
    Ich zündete mir eine Zigarette an, und es ging los, wir erhoben uns ganz langsam über die anderen Karussells, unter uns schimmerten die Lichter, und die Töne mischten sich zu einem Geräuschbrei. Wir fuhren drei Runden am Stück, Manon wurde nicht müde, sich hinauf- und wieder hinuntertragen zu lassen, bei jeder Fahrt zog etwas Neues ihren Blick an. Ein blau-roten Trawler, auf den Kais ausgelegte Fischernetze, das glänzende Deck einer Segeljacht, ein Kriegsschiff mit seinen Offizieren in tadellosen Uniformen, die Festungsmauern und die Lichter der Burg, das auflaufende Meer, das über die Deiche und die Steilküste hinweg Sand in die Straßen und Gärten spülte. Alles schien sie zu faszinieren, zu erfüllen. Wellen des Wohlbehagens liefen durch meinen Bauch und über meinen Rücken. Ich winkte sie zu mir her, sie stand von ihrer Bank auf und setzte sich neben mich. Es wurde dunkel, und wir fuhren noch einmal drei Runden.
    »Du hast schon eine Freundin in der Schule, scheint mir.«
    »Ja. Sie heißt Maylis, und wir spielen immer zusammen. Sie hat gesagt, dass sie mich bald zu sich nach Hause einlädt.«
    Ich nickte und nahm sie auf den Schoß, ihre Haare streichelten mir das Gesicht, ich küsste sie in den Nacken und flüsterte ihr mit meiner zärtlichsten Stimme ins Ohr.
    »Weißt du, nach den Ferien kommst du in eine andere Schule.«
    »Schon wieder?«
    »Ja, schon wieder. Aber eine Schule, die noch besser ist. Mit einer Menge Spielgeräte im Hof, ganz neuen Spielsachen im Klassenzimmer und vor allem mit einer sehr netten Lehrerin, die nie schreit.«
    »Und Maylis?«
    »Was ist mit Maylis?«
    »Kommt sie auch in die neue Schule?«
    »Nein. Ich glaube nicht. Sie bleibt in der alten, aber wir können sie auch einladen, du kannst ihr dein Zimmer und deine Spielsachen zeigen, und dann back ich euch einen Kuchen.«
    Sie schwieg eine Zeitlang, sie schien zu überlegen. Zum sechsten Mal wurde das Rad langsamer, und aus dem Lautsprecher kündigte eine Frauenstimme eine neue Fahrt an. Plötzlich blieb alles stehen, aber Manon rührte

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