Gegenwinde
nicht was und schienen sich gut zu verstehen, es zerriss mir das Herz, das zu sehen. Mit Hannah war es schon schmerzlich genug gewesen. Manon redete dauernd von ihr und wir hatten ihr haufenweise Briefe geschrieben, auf den ersten hatte sie geantwortet, aber auf den zweiten nicht mehr, und Manon fragte mich jeden Tag, wenn sie heimkam, ob Post für sie da sei. Ihr trauriger Blick, wenn ich verneinte, verriet das Ausmaß ihrer Enttäuschung. Als sie mich sah, ließ sie die Hand ihrer Freundin los und strahlte. Bevor sie zu mir kam, verabschiedete sie sich noch mit Küsschen von der Désiles, wie es auch alle anderen machten, sie war nicht nachtragend, dachte ich und wunderte mich wieder einmal über die Fähigkeit der Kinder zu vergessen, auch demjenigen noch eine Chance zu geben, der sie nicht verdiente.
Clément wartete am Tor auf uns, er las im Stehen, ganz vertieft. Ich musste mehrmals seinen Namen sagen, bevor er in die Wirklichkeit zurückkehrte, seine Kameraden gingen grußlos und ohne einen Blick an ihm vorbei, er war jetzt seit drei Wochen in der Schule, aber noch immer isoliert, manchmal wagte ich mich abends auf dieses Terrain, aber ohne Ergebnis. Nein, er habe noch keine Freunde gefunden. Nein, niemand redete mit ihm, aber das sei nicht schlimm, er habe keine Lust, mit ihnen zu reden, sie seien zu kindisch. All das verhieß nichts Gutes. Wenn die Jungens zu doof sind, schau doch mal bei den Mädchen, riet ich ihm, aber er war zu schüchtern, er traute sich nicht, sie anzusprechen oder sich zu ihnen an den Tisch zu setzen. Wir waren uns so ähnlich, er und ich, es war beinahe beunruhigend, ich wusste nur zu gut, wohin das führen konnte. Nur Sarah hatte mich vor dem Versinken gerettet. Mit ihrer kühlen Hand hatte sie mich hochgezogen. In ihrem Kielwasser war ich zur Welt gekommen. Diesmal endgültig. Das sagte ich mir jedenfalls.
Es roch nach verbranntem Fett, nach Crêpes und Zuckerwatte. Alles war voller Menschen, man fragte sich, wo sie herkamen, an manchen Tagen war die Stadt wie ausgestorben, man begegnete stundenlang niemandem. Aus Lautsprechern dröhnten die grotesken Stimmen der Jahrmarktschreier. Regelmäßig übertönte hysterisches Geschrei die Musik, man hob den Kopf, und Gondeln rasten durch die Luft, drehten sich mit beängstigender Geschwindigkeit um sich selbst. Die Gesichter darin schwankten zwischen Lachen und Entsetzen. Die Kinder waren begeistert, Manon hielt meine Hand, und Clément hatte die seine in Isabelles geschoben, wir hatten sie in einem Café getroffen, da saß sie neben einem großen Kamin, in dem ein verlöschendes Feuer flackerte, und las ihre Zeitung, an der Theke hingen Schaukeln von der Decke, die als Stühle dienten, und in den Regalen saßen Hunderte Puppen. In den letzten Tagen lebte sie nur noch in Wartehaltung, Gaël hier und Gaël da, sie redete ständig von ihrem Sohn. Ihre Augen loderten, wenn man sie küsste, hatte man das Gefühl, in die Glut zu blasen, und die Müdigkeit war verflogen. Nach einem Kakao waren wir in die Jahrmarktsattraktionen eingetaucht: Luftgewehrschießen Autoskooter Geisterbahnen Karussells, es fehlte an nichts. Manon träumte von den Plüschtieren, die sich hinter den Scheiben stapelten. Ich warf eine Münze ein. Der Greifer war zu weich, um den Kopf des Shrek zu fassen. Die Kleine fing an zu schluchzen. Ich konnte nicht viel ausrichten, aber ich wollte sie nicht enttäuschen. Sechs Euro gingen drauf, bis das grüne Ungeheuer endlich hängen blieb, Manon ließ es den ganzen Abend nicht mehr los. Clément hatte ein kleines Radio gewonnen, indem er mit Hilfe von sandgefüllten Lederbällen Konservendosen abknallte. Danach bildeten wir ein Team, er und ich mit geschultertem Gewehr, die Ballons platzten einer nach dem andern, Manon schaute uns fasziniert zu, lila Zuckerfäden um den Mund. Wir sahen ganz schön bescheuert aus mit unserem riesigen Shrek. Der Tag neigte sich, die Hafenbecken färbten sich rot, die Trawler vor den Lagerhallen lagen im Schatten, und die Kräne verwandelten sich in seltsame Vögel. Die Karussells funkelten in ihrem Strass- und Sternenschmuck. In ihren Häuschen rauchten Typen mit lückenhaftem Gebiss, während sie tonnenweise Tickets ausgaben, ich stellte mich an, Cléments Wahl war auf ein raffiniertes Fahrgeschäft gefallen, man setzte sich in eine blinkende weiße Maschine, schnallte sich an, und das Ding setzte sich in Bewegung, zuerst drehte es sich einfach sehr schnell, und wir wurden etwas kleinlaut, aber
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