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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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die Augen zum Himmel, um ihn zu verfluchen, ich begnügte mich damit, ihr über den Hof zu folgen wie ein Kind, das bestraft wird. Durchs Fenster entdeckte ich Manon zwischen den anderen Kindern. Sie sah mich auch, und auf ihrem Gesicht erschien ein breites Lächeln. Es ging mir durch und durch. Es war, als hätte ich sie drei Tage nicht gesehen, ich spürte körperlich, wie sie mir fehlte, es fühlte sich an wie ein großes Loch in der Magengrube. Ich hatte wirklich überhaupt keine Lust, mit der Direktorin zu reden, wenn ich auf mich gehört hätte, dann hätte ich sie einfach stehen lassen und wäre zu meiner Tochter gegangen, hätte sie auf den Arm genommen und herumgewirbelt, um endlich wieder ihr Lachen zu hören.
    »Haben Sie ein wenig Zeit für mich, Monsieur Anderen?«
    »Eigentlich hab ich es eilig.«
    »Es dauert nicht lange. Folgen Sie mir in mein Büro?«
    Unter den Blicken der anderen Eltern ging ich hinter ihr her, einen Augenblick fühlte ich mich um fünfundzwanzig Jahre zurückversetzt, zum Direktor gerufen wegen des Englischlehrers, er roch nach Urin und lebte mit fünfzig Jahren immer noch bei seiner Mutter, wir wurden nicht müde, ihn zur Weißglut zu bringen. Ich hatte mir eine kleine Nummer ausgedacht, ich wartete, bis er sich umdrehte, um etwas an die Tafel zu schreiben, dann kletterte ich aus dem Fenster, kehrte ins Schulgebäude zurück und klopfte an die Tür. Er unterbrach sich und sah fassungslos zu, wie ich mich neben Caroline setzte. Ich entschuldigte mich für mein Zuspätkommen, und er fuhr grübelnd mit dem Unterricht fort: Er hätte geschworen, mich vom Anfang der Stunde an da hinten sitzen gesehen zu haben. An manchen Tagen wiederholte ich das Spiel mehrmals, und so seltsam es scheinen mag, jedes Mal wenn ich wieder auftauchte, zerfurchte der Zweifel sein Gesicht. Danach verließ die Hälfte der Schüler den Raum, die anderen fingen an zu pokern, und er redete bis zum Ende der Stunde ins Leere.
    In dem mit Metallschränken möblierten Büro roch es nach aufgewärmtem Kaffee und Kuchen aus dem Supermarkt, in der Pause tat sie sich bestimmt nach Herzenslust daran gütlich. Auf dem Resopaltisch stapelten sich Papiere, und von einem Fotowürfel lächelten Kinder, sicherlich ihre. Sie hatte das Fenster im Rücken. So was würde ich ja nie begreifen. Schließlich ging es auf einen Rasen mit einer mächtigen Kastanie hinaus. Im Frühjahr sollten dort Picknicks stattfinden, hatte Manon mir mit leuchtenden Augen erzählt und auf einen Baum gezeigt, dessen Zweige bis auf den Boden hingen, bald würde er so viele Blätter tragen, dass die Kinder ihn als Laube benutzen und unter dem grünen Dach tausend unwichtige Geheimnisse austauschen könnten. Sie schien unschlüssig, sie wusste offenbar nicht so recht, wie sie anfangen sollte. Dabei war die Sache gar nicht besonders kompliziert: Auf Grund meiner Auseinandersetzung mit Madame Désiles, die selbstverständlich ihr uneingeschränktes Vertrauen genösse, sehe sie sich nicht mehr in der Lage, Manon weiter hierzubehalten, ich müsse mich also nach einer anderen Schule umsehen. Bis zu den Weihnachtsferien dürfe sie bleiben, aber nicht länger. Sie hatte mit zitternder Stimme begonnen, fast so, als hätte sie Angst, ich könnte ausrasten, aber das hielt nicht lange an, das armselige Vergnügen, über jemand anderen zu bestimmen, Autorität auszuüben, gab ihrem Ton und ihrem Auftreten wieder Sicherheit, in weniger als einer Minute hatte sie zu ihrer kurz angebundenen, hinterhältigen Art zurückgefunden. Ich erhob mich wortlos. Auf einem Teewagen stand zwischen zwei Stapeln Plastikbechern und einem Päckchen Zucker eine Kaffeekanne. Ich nahm sie und leerte den Inhalt auf den Schreibtisch. Die Papiere färbten sich braun. Sie reagierte nicht. Ich sagte auf Wiedersehen und ging ganz ruhig hinaus. Zwei Frauen, die an der Tür gelauscht hatten, schauten betreten, und an den Blicken, die mir einige Eltern zuwarfen, konnte ich sehen, dass die Neuigkeiten hier schnell zirkulierten, zur Abwechslung war ich der Paria vom Dienst, das erinnerte mich an so manches, die Schule, den Job, na ja, mein ganzes Leben. Ich war es gewohnt, ich hielt mich nicht länger auf, die Kinder warteten auf mich, und ich hatte ihnen Jahrmarkt versprochen. Ich holte Manon ab, sie saß brav auf ihrer kleinen Bank zwischen ihren Kameradinnen, sie hielt ihre Nachbarin an der Hand, immer noch dieselbe kleine Blonde mit dem pfiffigen Lächeln, sie unterhielten sich über ich weiß

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