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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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sich nicht, gedankenverloren runzelte sie die Stirn und starrte ins Leere.
    »Gehen wir, mein Hase?«
    Sie stand auf und folgte mir wie eine Schlafwandlerin. Wir fanden die anderen, die sich gerade in eine riesige grellbunte Gondel setzten, sie würde bald senkrecht aufsteigen, mehr als dreißig Meter hoch, und dann plötzlich ins Leere fallen. Das war die Attraktion, die am meisten Schreie auslöste, mir wurde schon beim Hinschauen schlecht.
    »Wollen sie mich nicht mehr?«
    Ich zuckte zusammen. Manon reckte mir ihr kleines besorgtes Gesicht entgegen, vor diesem Kind konnte man nichts verbergen, sie war immer ein Stück voraus, und selbst wenn sie abwesend zu sein schien, bekamen ihre Ohren und ihre Augen alles mit.
    »Wovon redest du, mein Engel?«
    »Muss ich in eine andere Schule, weil sie mich nicht mehr wollen?«
    »Aber nein, mein Schatz. Das hat nichts mit dir zu tun. Es ist meine Schuld. Ich habe mich mit deiner Lehrerin gestritten, weil ich nicht mag, wie sie mit den Kindern spricht, und noch weniger, wie sie sie am Arm zerrt oder an den Haaren zieht.«
    Die Gondel begann sehr langsam aufzusteigen, Isabelle und Clément winkten uns, tapfer lächelten sie übers ganze Gesicht. Der Ansager am Mikrofon riss billige Witze, dann kündigte er den ersten Sturz an. Der nächste Absatz war zwanzig Meter tiefer. Von meinem Standort aus konnte ich Isabelle sehen, aber nicht Clément, mit einer Grimasse mimte sie Zähneklappern.
    »Aber weißt du, sie hatte recht. Es war großer Quatsch, die Farbe zu essen.«
    Ich ging vor ihr in die Hocke, zog ihr den Schal im Mantelkragen zurecht, strich ihr eine Strähne aus der Stirn, wischte ihr mit einem Taschentuch den Zucker aus dem Mundwinkel. Hinter mir schrie es, als ich mich umdrehte, war die Gondel wieder auf dem Boden angekommen, und Cléments Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Hätte er gekonnt, wäre er sofort ausgestiegen, glaube ich, aber es war zu spät, das Ding stieg schon wieder gen Himmel.
    »Es stimmt, dass es großer Quatsch war, aber niemand darf dich kneifen oder an den Haaren ziehen, verstehst du?«
    »Nicht mal du?«
    »Nicht mal ich. Jedenfalls könnte ich so was nie tun. Selbst wenn du mich maßlos ärgerst, selbst wenn du ein ganz, ganz schlimmes Mädchen bist.«
    Meine Erklärungen schienen sie zufriedenzustellen. Sie atmete tief durch, wie immer, wenn sie sich zusammennahm, und wir wandten uns wieder der Gondel zu, diesmal war sie ganz oben stehengeblieben, nur das große Rad war noch höher, von dort oben musste man einen schönen Blick auf die Mole und die Corniche d’Aleth haben, der Horizont dehnte sich endlos aus, aber niemand interessierte sich dafür, jeder war zu sehr damit beschäftigt, seine Angst in Schach zu halten.
    An diesem Abend schlief Isabelle bei uns, und die Kinder haben nichts gesagt. Sie ersetzte nichts und niemanden. Sie wussten es so gut wie ich, wir brauchten gar nicht darüber zu sprechen. Kein Schmerz wurde durch sie geheilt. Weder der der Kinder noch meiner. Sie war da, und das war alles, ein Stück Wegs würden wir gemeinsam gehen. Solang es uns gefiel. Solang das Gespann hielt. Solang Sarah fernblieb. Wir gingen einfach drauflos, und so war es uns recht. Sie hatte ihre eigenen Gespenster, ihre Narben, doch sie sprach darüber genauso wenig wie ich über meine. Wir tranken und schliefen gern zusammen. Die Kleinen kuschelten und spielten gern mit ihr. Das war das Wichtigste. Um Feinheiten konnte man sich später kümmern. Wir mussten über die Runden kommen, egal wie.
    Die Kinder gingen spät schlafen, ein Streik stand bevor, die Schule würde ein paar Tage leer bleiben. Danach waren Ferien, ich würde mich irgendwie mit Nadine und Alex arrangieren, im Grunde kam es mir nicht so ungelegen, ich hatte die Kinder lieber um mich, und meine Tage im Auto zu verbringen, fand ich allmählich anstrengend. Auch wenn man die Fenster öffnete, hatte man nie richtig Luft, und alles zog zu schnell vorüber, als dass man irgendetwas riechen konnte. Es war besser, ich würde mich nach etwas anderem umtun. Egal ob Austern oder Vögel, wenn es nur draußen war und mir Zeit für die Küstenpfade blieb.
    Der Wind heulte die ganze Nacht, das Meer donnerte bis ins Haus. Manon fürchtete, es könnte davonfliegen oder die Wände könnten einstürzen, sie versteckte sich unter den Laken und weigerte sich, wieder in ihr Zimmer zu gehen, Isabelle sang mit ihrer heiseren Stimme Wiegenlieder für sie. Clément ließ nicht lang auf sich warten.

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