Geh auf Magenta - Roman
–
»Schon gut«, sagte Mila. »Es ist nichts passiert.«
Kirsten sah sie mit tränenüberströmtem Gesicht an, es wäre ihre Schuld, sie hätte etwas Blödes im Radio gehört, dann sei ein Anruf gekommen, mein Gott, nur noch ein paar Zentimeter, dann –
»Es ist ja nichts passiert«, wiederholte Mila ruhig. »Wir dürfen weiterleben.«
Auch ihr Atem ging schnell, sie blickte abwechselnd auf die Kühlerhaube vor ihr und zu Kirsten. »Und du?«
Erst jetzt nahm Kirsten wieder den Schmerz im Nacken wahr, sie konnte den Kopf kaum bewegen.
»Schleudertrauma?«
Kirsten rieb sich den Nacken. »Eher ein Wirbel, denke ich.«
»Kannst du fahren?«, fragte Mila. »Du musst ins Krankenhaus. Das kann dich lähmen, und du sitzt den Rest deiner Zeit im Rollstuhl. Wäre übel.«
Kirsten sah sie schockiert an, sie suchte immer noch nach Worten.
»Also, ich gehe jetzt weiter, und du fährst ins Krankenhaus, OK?«, sagte Mila.
»Gut. Aber ich bringe dich noch nach Hause. Oder wohin wolltest du?«
»Ich komme schon klar.«
»Ich würde dich aber gerne bringen. Bitte. Ich muss doch sowieso fahren.«
»Wenn du dich umbringen willst, gut. Du kannst auch einen Krankenwagen rufen.«
Kirsten schüttelte steif den Kopf, sie stiegen in das Auto.
»Wohin?«, fragte sie.
»Da lang. Bis zum Kottbusser Tor.«
Kirsten fuhr los, Mila warf einige skeptische Blicke auf ihren Nacken: »Also, was war so blöd im Radio?«
Kirsten erzählte von der Entführung, ein Freund von ihr sei derzeit im Jemen, da würde man sich natürlich Sorgen machen.
»Gab’s keine Namen?«
»Nein. Sie haben nur von einem Entführten gesprochen.«
»Sonst nichts?«
»Und von einer Begleiterin, die entkommen konnte.«
»Hat dein Freund denn eine Begleitung?«
Kirsten stockte, sie wüsste das nicht. Dafür kenne sie ihn nicht gut genug.
»Klingt spannend. Also eigentlich kein Freund, sondern nur ein Typ, den du toll findest, nicht? Ich würde ihn einfach anrufen; komm, halt an und ruf ihn an.«
Kirsten schwieg einen Moment, setzte dann den Blinker und fuhr an den Straßenrand. Ihr Handy zeigte immer noch Bastiens verpassten Anruf an; sie drückte die Anzeige weg und wählte Thomas’ Nummer, seine Stimme war auf der Mailbox zu hören.
»Nur Mailbox.«
Mila zog eine Zigarette aus ihrer Schachtel und zündete sie an. »Das muss nichts heißen. Da sind jetzt Hunderte Deutsche. Die feiern Silvester und so einen Quatsch.«
Kirsten verfolgte den Qualm im Auto und rieb sich wieder den Nacken. »Ich weiß nicht. Glaubst du an solche – Gefühle, an Ahnungen?«
»Kann sein, transzendental, so etwas. Das gibt’s bestimmt. Wir hängen alle in einer universalen Raum-Zeit-Blase fest, alles ist gleichzeitig alles, ein Brei. Da schwimmen wir herum und wissen’s nur nicht.«
»Also – ja?«
»Was?«
»Du glaubst daran?«
»Es ist doch egal, ob man dran glaubt oder nicht. Weil man es eh nicht weiß.«
»Aber deshalb glaubt man doch – weil man es eben nicht wissen kann«, sagte Kirsten.
»Hast du so eine Ahnung?«, fragte Mila.
Kirsten nickte, ja, sie hätte ein ganz komisches Gefühl; irgendetwas würde ihr sagen, dass mit ihrem Freund etwas nicht stimmen würde, sie würde das fast physisch spüren.
»Glaubst du, man hat ihn umgebracht?« Mila blickte sie ausdruckslos an. Sie schwiegen und hörten auf das Ticken des Blinkers. Schließlich fuhr Kirsten wieder an.
»Kottbusser Tor, OK. Wo genau da?«
Mila nannte die Straße und die Hausnummer. Kirsten stutzte, sie kenne das Haus, es wäre voller Ateliers, und eigentlich wollte sie auch –
»Das sind Ateliers?«
»Ja, nur. Zu wem wolltest du denn?«
»Zu einem Typen. Kenne ihn aus dem Netz, weiß auch nicht, wie er heißt.«
»Ein Blind Date zu Silvester? Nicht schlecht.«
»Wie geht’s deinem Nacken?«
»Besser.«
»Dann komm doch mit«, sagte Mila.
Kirsten sah noch einmal auf ihr Handy, Bastien hatte keine Nachricht hinterlassen. Sie drückte seine Nummer, es läutete mehrmals, er meldete sich nicht.
Sie fuhr wieder los.
*
Frings hielt ihm einen Umschlag hin.
»Willst du nachzählen?«
»Natürlich nicht, wird schon passen«, sagte Bastien.
Er legte den Umschlag auf den Schreibtisch. »Sie war nicht da?«
Frings schüttelte mit dem Kopf. – Und was er jetzt machen wolle, fragte Bastien. Er sah auf die Uhr, es war bereits halb acht.
»Ich weiß nicht. Gib mir ein Glas Wein.«
Er setzte sich in den Sessel. Bastien schenkte ihm das Glas ein. »Per, ich weiß ja nicht, was vorher
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