Geh auf Magenta - Roman
glaubte, dass es verloren war?
Indem man aufhörte, zu suchen.
Es gab nichts mehr zu tun.
*
Mila stieg langsam das Treppenhaus hoch. Auf einer Etage hatte sich jemand erbrochen, sie stieg angewidert darüber hinweg.
Im vierten Stock gab es zwei Eingänge, etwas unentschlossen stand sie auf dem Absatz und zündete sich eine Zigarette an.
Dann ging sie zur rechten Tür, dahinter war ein Lachen zu hören, von einem Mann und einer Frau. Sie entschloss sich für die andere Seite und klopfte an; es geschah nichts, sie klopfte wieder.
Sie wartete und rauchte eine weitere Zigarette.
Probehalber drückte sie auf die Klinke, die Tür war nicht verschlossen, und sie trat vorsichtig ein.
Der Raum war voller Bilder, sie standen überall, selbst auf der Spüle der Küche. Das Licht war nicht sehr hell, und sie brauchte einen Moment, um den Mann im Sessel zu sehen, er schlief. Sie ging näher heran, er bewegte sich kurz und drehte sich zur Seite.
Auf dem Schreibtisch sah sie einen Computer, mit unzähligen Klebezetteln übersät; die meisten wiesen Skizzen und Notizen auf, auf einem stand in krakeliger Schrift an Schwester schreiben . Daneben drei Ausrufezeichen.
Es war kalt in dem Atelier. Sie sah die Decke und legte sie Bastien vorsichtig über die Schultern, er bewegte sich wieder kurz und legte das Gesicht auf die andere Seite.
Es kam ihr bekannt vor.
Sie sah das Bild am Kopfende des Raumes, einen Akt.
Sie sah sich selbst.
Er bewegte sich wieder im Sessel und griff mit den Händen auf die Lehne des Sessels, offenbar träumte er. Sie strich ihm sanft über den Kopf, und seine Hände wurden ruhiger; sie nahm eine an sich und hielt sie an ihre Wange, er öffnete die Augen einen Spalt breit.
»Mila?«
Sie hielt weiter seine Hand, er streichelte ihr über das Gesicht und schloss wieder die Augen.
Das Licht im Innern wurde beständig heller, der Sessel hatte sie nun beide sanft umformt, und sie spürten ein Vibrieren. Das Wesen bewegte sich, zuerst langsam, dann stiegen sie schnell höher, Meter um Meter, das Tageslicht näherte sich, schon bald lag der Krater unter ihnen, bis er nur noch als kleiner Kreis unter ihren Füßen zu sehen war, ebenso schnell verschwand die Insel im blauen Dunst, und schon waren sie von Sternen umringt, Tausende, Millionen, ihr Licht stach ihnen in die Augen. Es reflektierte an der Haut ihres Gesichtes neben ihm.
»Mila?«, sagte er noch einmal.
»Ja?« Sie rieb seine Hand an ihrer Wange.
Er sah sie an. Sie zog jetzt ihren Mantel aus, in der Ferne hörten sie einige Böllerschüsse, und ein Feuerwerksleuchten drang durch die Fenster des Ateliers.
»Bleibst du bei mir?«
Sie legte sich zu ihm und zog die Decke zurecht. Sie war groß genug für sie beide.
1. Auflage
© Frankfurter Verlagsanstalt GmbH,
Frankfurt am Main 2013
Alle Rechte vorbehalten
Herstellung und Umschlaggestaltung: Laura J Gerlach
Umschlagmotiv: © istockphoto/andipantz
Satz und eBook: psb, Berlin
ISBN: 978-3-627-02205-1
© privat
Stephan Kaluza , 1964 geboren, hat Kunst, Kunstgeschichte und Philosophie in Düsseldorf studiert. Er ist Foto- und Performancekünstler, Theaterautor sowie Dozent für Regie am Mozarteum in Salzburg. Seine Stücke wurden u. a. am Staatstheater Stuttgart und im Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert; seine Arbeiten sind in Museen und Sammlungen in Berlin, Düsseldorf, Amsterdam, Jerusalem, Shanghai, Seoul, Paris und Istanbul vertreten. Stephan Kaluza lebt in Düsseldorf und Berlin.
Mehr Infos hier .
Weitere Kostenlose Bücher