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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Leben willkommen zu heißen. Einmal hatte sie erwogen, Calle Babington mitzunehmen, in einer Anwandlung von verzweifeltem Scherz, aber der Kollege wäre wohl nicht einmal ihrer Mutter glaubwürdig erschienen. Babington war ein Kind. Das war ihr Problem, dachte sie, als sie rechts in den Korsvägen abbog: Männer waren Kinder, und sie ertrug ihren jungenhaften Charme immer gerade einmal fünf Minuten lang, dann wollte sie etwas anderes.
    Mist. Sie hätte am Samstag nicht rauchen sollen. Vielleicht lockte man dadurch auch besonders schleimige Typen an den Tisch, ihre Augen bohrten sich einem irgendwo in den Busen, sie hatten den Geruch nach Alkohol im Atem, nach billigem Rasierwasser im Gesicht, und ein Lächeln, für das sie keine fünf Öre geben würde und das sie noch weniger von nahem sehen wollte.
    Kajsa Lagergren bog auf den Parkplatz des Polizeipräsidiums ein, schaltete den Motor aus, und als sie den linken Fuß auf den Asphalt setzte, merkte sie, dass es in den vergangenen Stunden in Göteborg kälter als in Mölndal geworden war. Vorsichtig schritt sie über die glatte Fläche, spürte die Kälte in der Luft und sah einige dünne weiße Flocken über sich schweben.
     
    Er stand im Schatten und schaute erstaunt zu: dasselbe Ritual, Bewegungsmuster ohne Ende, ein Zupfen und Zerren, der Versuch, sich vor der Kälte zu schützen. Aber es wurde nie richtig warm. Er konnte sehen, wie sich die beiden Männer Seite an Seite abmühten, sich in das warme Erdinnere zu graben, durch das verwelkte Gras, das noch lange nach Einbruch der Dämmerung vor Feuchtigkeit dampfte. Jeder konnte es sehen, aber niemand wollte es wahrnehmen, alle schauten woanders hin.
    Immer mehr Menschen lebten auf den Straßen und in den Parks, wanderten vorsichtig und ängstlich über neuen Boden, seit Krankenhäuser, psychiatrische Anstalten und Pflegeheime ihnen durch den Trend der neuen Zeit verschlossen waren. Ein Teil des Schlosswaldes wurde nach Einbruch der Dunkelheit zu einem grotesken Zeltlager. Kein besonders großer Teil, aber es reichte, um ihn Mitleid mit den Andersartigen empfinden zu lassen.
    Er hatte immer Mitleid mit den Andersartigen gehabt. Er stand auf der Seite der Schwachen. Er wusste: Die Einsamkeit war nur ein Aspekt von all diesem. Die Armut bedeutete nichts. Es war das andere. Dieses Jetzt hab ich dich … binde dich fest, binde das Seil fest, versuch ja nicht …, und er schüttelte heftig abwehrend den Kopf bei diesem Gedanken und trat aus dem Schatten heraus.
    Der große Mann ging auf die beiden zu, die endlich zur Ruhe gekommen waren neben der Mauer. Zwei Meter von ihnen entfernt blieb er stehen und lauschte auf die schweren Atemzüge. Er ging näher, faltete eine Decke auseinander, die er bei sich hatte, und breitete sie vorsichtig über den einen. Er wartete, hörte, dass sich der Mann im Schlaf umdrehte, und sah, dass er die Decke um seinen Körper zog.
    Dann breitete der Mann eine weitere Decke über den rechten Haufen von Zeitungen und Lumpen, unter denen der zweite Schlafende lag.
    Jetzt erhob er sich mit einem leichten Sausen in den Ohren, wandte sich nach links und ging rasch davon, ohne sich umzusehen. Er war auf dem Weg, dem Weg, dem Weg …

5
    Sie hatten Ulla Torstenssons Leiche. Ard hatte Abzüge von den Fotos: Sie zeigten das, was diese Frau einmal gewesen war.
    Kajsa Lagergren wandte den Blick ab. Es war nicht der Tod, der sie erschaudern ließ, nicht einmal das Verbrechen selbst. Es war der Hass, der in dem lag, was hinterher mit der Frau geschehen war. Sie wagte sich nicht vorzustellen, was sich vorher zugetragen haben mochte.
    Im Raum war es still. Sten Ard saß ruhig auf dem seltsamen Drehstuhl, den die Verwaltung für die Konferenzzimmer bestellt hatte: einen Drehstuhl pro Zimmer, sonst die üblichen Modelle, eine Art Küchenstühle, die über den Boden scharrten, wenn sich schwere Körper während lebhafter Ermittlungsgespräche darauf bewegten. Eine Tortur für den, der sensible Ohren hatte.
    Ein Drehstuhl, vorgesehen für den Kommissar, vielleicht mit der Absicht, ihn ständig in Bewegung zu halten, damit er so viele seiner ihm unterstellten Mitarbeiter wie möglich erreichte. Er betrachtete sie: Ove Boursé mit seinen kurz geschnittenen Haaren sah aus wie einer der Staranwälte im Fernsehen: ein Schlips aus Seide und ein grauer Anzug, der sehr teuer wirkte. Calle Babington, die blauen Augen auf irgendetwas in der Ferne gerichtet – und Ard dachte zum hundertsten Mal, dass der Junge doch

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