Geh aus, mein Herz
irgendeine Befähigung haben musste, die sich bei irgendeinem Fall zeigen würde, hoffentlich noch, bevor Ard in Pension ging. Er sah, dass Babingtons Jeans etwas ausgefranst waren, als er das rechte Bein über das linke schlug und leise etwas zu Kajsa Lagergren sagte, die neben ihm saß.
»Calle?«
Babington sah aus wie ein Schuljunge. Ard fühlte sich wie ein Studienrat.
»Calle, in diesem Raum sind wir auf jeden Gedanken angewiesen, sprich ihn laut aus.«
Babington hielt eins der Fotos hoch. Seine Hand zitterte leicht.
»Gibt es kein Bild vom ganzen Körper?«
Sten Ard sah die Abzüge auf dem Tisch vor sich durch.
»Nein.«
»Warum nicht?«
Das war eine gute Frage. Wirklich eine gute Frage.
»Das ist eine gute Frage. Es gibt bestimmt eins. Ich überprüfe das sofort.«
Ove Boursé legte die Bilder auf eine Bank an der nördlichen Wand und stellte sich in seine bevorzugte Ecke.
»Nicht der übliche Totschlag innerhalb der Familie.«
Ard warf einen Blick auf das Porträt von Ulla Torstensson, aufgenommen, als sie noch gelebt hatte.
»Nein.«
»Und ihr Mann hat ein astreines Alibi.«
»Ja. Bridgeclub im ›Haus der Kaufleute‹, drei Zeugen. Die hätten es gemerkt, wenn er den Tisch für eine Stunde verlassen hätte.«
»Bridge? Gibt’s so was noch?«
Ard antwortete nicht; er wusste, dass Boursé zu solch altmodischen Dingen wie Bridgespielen keinen Zugang hatte.
»Den Zeitpunkt haben wir also festgestellt.«
»Insofern, als Anders Torstensson nicht als Täter in Frage kommt.«
»Dann müssen wir in der Vergangenheit suchen.«
»Du meinst in Ulla Torstenssons?«
Calle Babington wandte sich zu Boursé in der Ecke um. Der Stuhl schabte nervtötend über den Fußboden. Ove Boursé sah Babington an.
»Meine Vergangenheit meine ich jedenfalls nicht.«
»Nein, aber es braucht ja nichts … äh, Persönliches zu sein.«
»Natürlich nicht, wir müssen nur irgendwo anfangen. Wir können ja nicht bloß auf die Ergebnisse der Gerichtsmedizin oder die DNA-Analyse warten oder darauf, dass das Telefon klingelt und jemand uns einen Hinweis gibt. Übrigens, was sagt denn unser famoser Medikus Frenkel? Sten?«
Unser famoser Medikus. Sten Ard beobachtete, wie Kajsa Lagergren missbilligend die Augenbrauen zusammenzog. Er musste mit Ove reden, so ging das nicht.
»Morgen wird er seinen Bericht abgeben, aber bisher wird als Todesursache ein gewaltsamer Schlag gegen die Nackenwirbel angenommen.«
»Und die anderen … Verletzungen?«
Das war Kajsas Stimme; sie klang, als hätte sie eine schwere Erkältung. Ard überflog das Blatt Papier, das vor ihm lag.
»Kann er noch nicht sagen, aber alles deutet darauf hin, dass sie nach dem tödlichen Schlag verursacht wurden.«
War das eine beruhigende Nachricht? Ihn beruhigte sie jedenfalls.
»Eins steht heute schon fest: Der Täter wurde von einer Art Hass angetrieben, und diesen Hass müssen wir zu ergründen versuchen. Die Ursache dafür finden.«
Er wusste, dass er daherredete wie einer dieser Seelenexperten, die sie beauftragt hatten, Täterprofile zu erstellen. Aber es war das Beste, so etwas sofort anzusprechen, die Gedanken unverzüglich auf verschiedene Fährten zu lenken.
»Wie gesagt, wir müssen in der Vergangenheit suchen«, sagte Ove Boursé.
Babington schaute in seinen Notizblock und sah dann auf.
»Wir haben begonnen, die bekannten Gewalttäter der Stadt, die in Betracht kommen könnten, wenn … wenn … sozusagen alle Umstände übereinstimmen, zu überprüfen. Sowohl die, die einsitzen, als auch die, die frei herumlaufen.«
»Ha. Ich schlage vor, wir beginnen mit denen draußen, und die sind aufgrund des neuen Zeitgeists vermutlich ziemlich zahlreich.«
Boursé war ein Mann der neuen Zeit. Wieder dachte Ard das, während er die Bilder vom Tatort betrachtete.
»Natürlich besteht die Möglichkeit, dass wir es hier mit einem Mörder zu tun haben, der noch nie zuvor irgendeinen Kontakt zu seinem Opfer hatte. Wir alle wissen, was das heißt.«
Kajsa Lagergren schaute auf.
»Sie ist nicht ausgeraubt worden?«
»Nein, Geld und Papiere waren noch da. Ihr Trauring steckte noch am Finger und sie trug eine schmale Goldkette um den Hals. Eine Aktentasche mit zwei Büchern und einigen Dokumenten lag neben der Leiche, als wir sie gefunden haben. Wir haben versucht, von ihrem Mann etwas darüber zu erfahren, aber er wusste nicht, ob sie noch mehr bei sich hatte, als sie am Morgen das Haus verließ.«
»Das kann alles Mögliche bedeuten.«
»Ja,
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