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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Scheißtag.«
    »Viele Besprechungen?«
    »Du sagst es.«
    »Warum arbeitest du nicht freiberuflich? Du hast doch öfter davon geredet.«
    »Darüber zu reden ist leichter, als es in die Tat umzusetzen. Ich bin wahrscheinlich nicht gut genug. Habe nicht genügend Ideen.«
    »Das weiß man doch erst, wenn man es ausprobiert.«
    »Ja. Aber ich bin zu feige, um es auszuprobieren.«
    Wide hörte einen Anflug von Frustration in der Stimme, verborgen hinter dem scherzhaften Ton, hinter dem Mund, der schmaler war als in seiner Erinnerung. Peter Sjögren hatte Ringe unter den Augen, die aussahen wie Brillenfassungen, ein kleines Netzwerk aus feinen geplatzten Äderchen über dem Nasenrücken und über den Wangen; ein Gesicht, das von Willenskraft zusammengehalten zu werden schien. Wide fragte sich, warum der Journalist nicht sein Leben änderte, wenn Sicherheit dies bedeutete: dass ein Mensch sogar noch übler aussah als er, Jonathan Wide. Aber Peter Sjögrens Hand zitterte nicht, als er sich die Zigarette anzündete.
    »Und wie geht’s dir bei deinem Abstecher in die Freiberuflichkeit?«
    »Ziemlich mies.«
    »Da hast du’s.«
    »Aber ich schreibe nicht.«
    »Vielleicht scheue ich davor zurück. Vor den Sachen, die ich als Freiberufler zwangsläufig schreiben müsste.«
    »Die du jetzt nicht schreiben musst.«
    »Genau.«
    »Muss es denn so kommen?«
    Sjögren schnippte die Asche ab, nahm einen großen Schluck Bier, öffnete die ausgebeulte Schultertasche, die er bei sich hatte, und nahm ein dickes, großes Kuvert heraus.
    »Nein, lassen wir das Thema. Hier sind die Jahrbücher.«
    Wide nahm die vier Hefte, ein Grau, das langsam vergilbte, das alte Schulgebäude auf dem Umschlag: nirgends Leben, keine Bewegung auf dem Bild. Wide verweilte mit dem Blick auf dem kleinen Streifen Schulhof, der auf dem Bild zu sehen war, sah das Geländer an der Treppe, an dem er sich immer mit der linken Hand festgehalten hatte.
    Er schob die Erinnerungen beiseite.
    »Willst du nicht hineinschauen?«
    »Später.«
    »Wenn du nach deiner Ulla Bergström suchen willst, dann ist es sinnlos. Sie ist nicht dabei.«
    »Bergsten, Ulla Bergsten.«
    »Genau. Whatever. Sie war nicht an unserer Schule. Und ich kann mich auch nicht an sie erinnern. Bist du sicher, dass sie aus Sävsjö stammt?«
    »Ja.«
    »Ich erinnere mich nicht an sie.«
    »Nein. Sävsjö ist eine große Stadt.«
    »Aber sicher.«
    Wide trank von seinem Bier. Er spürte eine schwache Wirkung des Alkohols dieses Glases und des Glases davor. Er schaute auf und sah, dass der Barkeeper mit zwei großen Gläsern zu ihnen auf dem Weg war. Er sah Sjögren an.
    »Hast du mehr bestellt?«
    »Ja, das geheime Zeichen.«
    »Ich habe genug.«
    Peter Sjögren antwortete nicht, wartete, während die Gläser auf dem Tisch abgesetzt wurden, trank und wischte sich mit der grünweiß karierten Papierserviette den Mund ab.
    »Du hast angedeutet, dass es noch um was anderes ging.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Die Sache mit den Klassenfotos vom Schuljahresende. Dass du Hilfe brauchst. Dass da noch was ist.«
    Jonathan Wide sah, dass seine Hand das Glas berührte, es anhob, es zum Mund führte und den Inhalt in seinen Körper kippte. Er war wie losgelöst davon.
    Das Glas wurde wieder abgestellt.
    »Das ist wie ein flüchtiger Gedanke, eine verwischte Erinnerung. Ich hab vor ein paar Tagen jemanden gesehen und der Name oder die Zusammenhänge werden mir einfach nicht klar.«
    »Ist es so wichtig?«
    »Nein, das glaub ich nicht. Aber es irritiert mich, als ob ich mich unbedingt erinnern müsste.«
    »Weil es wichtig ist.«
    »Keine Ahnung. Ich glaube nicht, wie gesagt. Aber es lässt mir einfach keine Ruhe.«
    »Und die Antwort findet sich vielleicht in einem Jahrbuch aus den sechziger Jahren«, sagte Peter Sjögren.
    »Vielleicht finde ich das Gesicht, und das könnte ein Teil der Antwort sein.«
    Sjögren zündete sich eine weitere Zigarette an und stieß den Rauch durch die Nase aus. Wide empfand kein Verlangen, den Tabak hatte er überwunden.
    »Ist es jemand von zu Hause?«
    »Ich weiß es nicht genau. Aber irgendwann ist etwas passiert, was immer es auch war, und wenn ich dieses Gesicht deutlicher sehe, fällt mir vielleicht alles wieder ein. Da war etwas. Ich sollte mich erinnern.«
    »Du solltest dich erinnern?«
    »Das ist mein Job. War mein … ist mein Job.«
    Sjögren lachte ein zischendes Lachen, kurz und heiser, als hätte sich in seiner Brust eine Schlange entrollt und für zwei Sekunden ihre

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