Geh aus, mein Herz
war nicht mehr unter der Laterne, wo er eben noch gewesen war. Janne-Janne hatte ja nur seine Silhouette vor der Markthalle gesehen, das hatte nicht mehr als eine Sekunde gedauert.
Jetzt aber vorsichtig! Er ging auf die Laterne zu und daran vorbei, doch der lange Kerl war verschwunden, und das war merkwürdig, denn der Pfad verlief hier ganz gerade. Er spähte ihn entlang, hörte die Straßenbahn Nummer vier vorbeirauschen, und Janne-Janne drehte sich um, konnte jedoch nichts weiter sehen als einige arme Teufel, die in einem Gebüsch zur Allén hin kauerten. Einen Augenblick musste er sich gegen einen Baumstamm lehnen, so schwach war ihm geworden. Schließlich war er fast gelaufen, und als er so mit hängender Zunge dastand, näherten sich Schritte, er schaute auf, schaute wirklich auf in ein Gesicht, das er ja schon einmal fast gesehen hatte, jedenfalls war es dasselbe, und der Mann war nicht böse oder so, weil er verfolgt worden war, und Janne-Janne wusste nicht, was er sagen sollte, denn der andere sagte etwas, was er nicht verstand, und dann wiederholte er es: »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, sagte er, und dann hörte Janne-Janne nichts mehr.
Der Gruppendruck begann und seine Anwesenheit war wünschenswert. Wide hatte mit Kollding gesprochen und diesmal ging es nicht um Fluchtwege bei Unglücken und auch nicht um Diebstahl. Es ging um die Planung vor dem Weihnachtsgeschäft und den Druck der Menschen, der die Stockwerke nach Westen und Osten ausbeulen würde. Wie sollten sie die Massen von Konsumenten durchs NK schleusen, ohne dass die Zehen der Leute Schaden litten? Hatte er eine Idee?
Die Weihnachtsschaufenster. Jonathan Wide empfand jedes Jahr die gleiche milde Überraschung, wenn es wieder so weit war. Kauf mich! Schau mich an!
Er war ein schlechter Konsument. Wie sollte er die Kaufkräftigen richtig leiten? Es war ein diffuser Auftrag. Die ganze Geschichte war ein diffuser Auftrag, und er fragte sich, ob Kollding oder dessen Chefs ernsthaft an seiner Mitarbeit interessiert waren. Es kam einem Gnadenjob gleich, den Gedanken wurde er nicht los, ein diskretes Arrangement, um dem alternden Detektiv einen kleinen Verdienst zu verschaffen. Damit er etwas zu tun hatte. Etwas zu essen. Etwas zu trinken. So dachte er mit einem Anflug von dem reuevollen Humor eines Menschen, der einen Kater hatte, und zuckte zusammen, als das Telefon klingelte.
»Wide.«
»Sten hier.«
»Hallo.«
»Wie geht’s?«
»Bisschen müde.«
»Hör auf mit dem Trinken.«
»Nur ein kleiner Rückfall.«
»Die Kinder zu Besuch?«
»Ja.«
»Dann funktioniert es nicht.«
»Bald klappt es besser.«
»Aber deswegen ruf ich nicht an.«
»Nein.«
»Melinder. Er war im Sommerlager.«
»Ja.«
»Wusstest du das?«
»Nein, aber ich hatte so ein Gefühl.«
»Zweimal, Sommer 1961 und 62.«
»Ich vermute, irgendwo in Småland.«
»Hindsekind. Das liegt außerhalb von Värnamo, am See Hindsen. Oder lag, nach unseren Ermittlungen gibt es das Sommerlager seit fünfzehn Jahren nicht mehr.«
»Gibt’s bestimmt bald wieder. Sommerlager sind ganz im Geist der Zeit, sie passen perfekt zu unserer runtergewirtschafteten Gesellschaft.«
»Ja.«
»Aber diese Information über Melinder habt ihr nicht von der Kommune Sävsjö bekommen.«
»Nein, aber das weißt du ja schon.«
»Ja.«
»Es ist zu blöd.«
»So was passiert. Damals passierte so was häufig.«
»Man kriegt fast Verständnis für die Abrisswut der Sozis in den sechziger Jahren.«
»Du meinst, sie hätten eher damit anfangen sollen?«
»Abreißen und Neues bauen? Dann hätten wir die Papiere gehabt. Es gab also nichts mehr?«
»Darüber nicht.«
Wide hatte in der Gemeinde Sävsjö angerufen, war mit der Schulbehörde, mit den sozialen Einrichtungen verbunden worden. Ja, es war eine Statistik darüber geführt worden, welche Kinder der Stadt in den Sommermonaten in Sommerlagern untergebracht wurden. Aber die Statistiken waren nicht mehr zugänglich. Der Grund: Im Oktober 1965 war das alte, schöne Holzgebäude der Gemeindeverwaltung abgebrannt; es war ein ungewöhnlich trockener Herbst gewesen und die Flammen waren gierig. Einige Unterlagen waren gerettet worden, aber die, nach denen er fragte, waren verbrannt. Vorschlag: Die Krankenschwester des Distrikts, die damals für einige Vorgänge zuständig gewesen war, lebte noch; es ging ihr den Umständen entsprechend gut, wenn man bedachte, dass sie schon einundneunzig war, aber ans Telefon konnte sie nicht mehr
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