Geh aus, mein Herz
über Opernkritik gelesen, etwas über Puccini: der letzte große Opernkomponist im alten italienischen Stil, ein Mann, der ausschließlich Opern schrieb, für die Millionen draußen. Dass ihm zum Sterben unbehaglich war, wenn er nichts hatte, was er vertonen konnte. Nach der Premiere von Tosca am 14. Januar 1900 hatte Puccini sich wie »ein arbeitsloser Arbeiter« gefühlt.
Zwischen Tosca und Madame Butterfly lagen vier Jahre. Die Jagd nach einem neuen Libretto.
Hier drinnen erwartete ihn die Geschichte aus Japan. Er stand vor der Treppe, stieg sie hinauf und betrat das Haus, dessen Entstehung er mit Skepsis verfolgt hatte, und jetzt fragte er sich, warum. Vielleicht war es die kalte Arroganz, die er bei den Vertretern der Wirtschaft wahrzunehmen meinte, ein Hauch von Verachtung für andere und schlechter gekleidete Bühnenkunst oder Kultur. Ein Wunsch, im Licht der feineren Kunst gesehen zu werden, wovon die nicht das Geringste begriffen. Aber jetzt im Zentrum von Glas und Licht zum Fluss hin war ihm das egal; er gab seinen Mantel ab, bekam eine Plastikmarke, kaufte einer Frau in schwarzem Kleid mit kurzen schwarzen Haaren ein Programm ab, trank in der Bar ein Glas Weißwein und betrachtete dann diese Frau, die fünf Meter entfernt stand. Er sah den Umriss der Brüste unter dem Stoff; sie hatte schmale nackte Schultern, dünne Arme und ein breites Gesicht. Er vermutete, dass sie einen flachen Bauch hatte, ihre Brüste waren größer, als der schlanke Körper es zulassen sollte, die Hüften breit genug für die stabile Seitenlage und Gegenbewegung und … Himmel, er spürte, wie Hitze über seinen Hals schoss, als die Gedanken, schwer und geschwollen von Blut, zwischen seine Beine sackten. Plötzlich war er voller Begehren nach Lust mit dieser unschuldigen Frau.
Wide wandte den Blick zur Theke und las die Rollenliste (Darsteller, Interpreten …). Ard konnte einem Leid tun, mit dickem Kopf zu Hause; aber blockierte Sinne passten nicht zur Musik.
Er musste sich geschlagen geben. Dort im Parkett rechts, Reihe acht, Platz 263, nahm er die Architektur in Augenschein. Er hatte nicht auf dem Balkon sitzen wollen, schon gar nicht ganz oben mit dem Abgrund vor sich. Aber hier unten hatte er ein großes, schönes Gefühl, als er sich umschaute – das gedämpfte Gemurmel des Publikums, das seine Plätze aufsuchte, die Dissonanzen aus dem Orchestergraben.
Er hatte sich mit anderen über diese seelenlose Kathedrale unterhalten, aber da war er unwissend gewesen und hatte den Fehler begangen, sich über etwas zu äußern, wovon er keine Ahnung hatte.
Die Göteborger Oper war bereits für viele zur Kathedrale geworden, der Umzug war weit weniger schmerzhaft gewesen, als viele geglaubt hatten. Es war tatsächlich möglich, etwas Neues für vor langer Zeit geschaffene Werke zu bauen und für neue Werke. Es war möglich, eine neue Seele zu schaffen. Er spürte es.
Pinkerton schlenderte auf die Bühne. Es begann. Wide sah den falschen amerikanischen Leutnant, der bereit war, das Leben einer fünfzehnjährigen japanischen Geisha zu zerstören, die es doch eigentlich besser wissen müsste. Er setzte sich zurecht, schloss die Augen, öffnete sie wieder und gab sich der Geschichte hin.
In der Pause nach dem ersten Akt wollte er die Schlussszene so lange wie möglich nachklingen lassen, das schöne Bimbi dagli occhi pieni di malia mit Pinkerton und Cio Cio San im Hochzeitsbett, eine Trauung, die von Anfang an zum Tode verurteilt war.
»War es gut?«
Shaeffer hinter der Theke, Wide auf dem Hocker, in den er seinen Namen gravieren sollte.
»Es war gut.«
»Ein Klassiker.«
»Könnte es werden. Cio San war sehr gut, Nina Stemme. Sie war in Cortona engagiert.«
»Italien.«
»Wo sonst. Gib mir ein Glas Salentino.«
Wim Shaeffer öffnete die Rotweinflasche und schenkte ein. Wide holte Luft und nahm einen Schluck.
»Gut.«
»Möchtest du etwas dazu haben?«
»Der Tomaten-Auberginen-Pie sieht verlockend aus.«
»Das Grüne ist Basilikum.«
»Mag ich.«
»Dazu kannst du eine gegrillte Gänseleber haben.«
»Dazu? Ich glaub, ich esse ich wohl eher den Pie dazu.«
»Nur ein kleines Stück. Aber ich will dich nicht zwingen.«
»Dann lass ich mich nicht länger bitten.«
Eine Minute später war Shaeffer wieder da, schenkte Wide nach.
»Was für eine Version haben sie gebracht?«
»Die letzte, soweit ich sehen konnte.«
»Die Parisversion.«
»Ja.«
»Nicht so hartherzig.«
»Sie gefällt mir ganz gut. Pinkerton
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