Geh aus, mein Herz
auch wenn das eher Zufall als Berechnung war. Es gab ein nächstes Mal.
Die widerstandslose Gesellschaft, der die schwarzen Masken begegneten, war eine Art Ermunterung. Wie weit konnte man gehen? Wie weit erlaubten sie einem zu gehen, ehe es zu spät war? Der Überfall auf den chinesischen Laden, der letzte, war so brutal gewesen, dass sich kritische Stimmen in der Stadt erhoben. Die Göteborgs-Posten hatte ein Bürgertelefon eingerichtet, bei dem die so genannte Allgemeinheit ihre Meinung äußern konnte.
Ard war in die Redaktion geladen worden, um die Anrufe in seiner Funktion als Kommissar vom Gewaltdezernat entgegenzunehmen; er hatte sich in jedem Winkel des Präsidiums zu verstecken versucht, aber gegen seine Vorgesetzten hatte er keine Chance gehabt. Jemand hatte auch Kajsa vorgeschlagen, schließlich war sie mit dem Fall operativ befasst, aber Sten hatte gesagt, er wolle sie zwar in die Zeitungsredaktion mitnehmen, aber nur, damit sie zuhören könne. Und die Einladung hatte sie natürlich nicht ausgeschlagen. Nachdem sie sich mit der Idee vertraut gemacht hatte, fand sie es gut, für ein paar Stunden von der entsetzlichen Mordermittlung abgelenkt zu werden. Während dieser zwei Stunden, in denen sie den Gesprächen gelauscht hatte, konnte sie die wachsende Verstimmung in den Gesichtern der Journalisten und in Ards Gesicht beobachten, und hätte sie einen Spiegel zur Hand gehabt, dann hätte sie auch den Ekel in ihrem eigenen Gesicht gesehen.
»Wollen wir abbrechen?«, hatte die Chefin vom Dienst nach einer Stunde gefragt, aber Ard hatte abgewinkt und weiter in den Hörer geredet: Nein, er finde nicht, dass die Polizei sich anderen Aufgaben widmen sollte, als Schweden zu jagen, die das Ihre täten, um die Einwanderer zu bremsen; nein, er finde nicht, dass das Land von Schwarzköpfen okkupiert werde; nein, er denke nicht daran, seinen Job aufzugeben; nein, er glaube nicht, dass diejenigen, die ausgewiesen worden waren, jetzt im Luxus zu Hause lebten; nein, er glaube nicht, dass Kurden nicht mehr als kahle Wände und eine Glühbirne an der Decke brauchten und ihre Notdurft verrichteten, wo sie gingen und standen; ja, er glaube an das Recht jedes Einzelnen auf ein anständiges Leben – aber das ist mehr, als ich dir Scheißkerl wünsche, dachte er nach dem Gespräch mit einer männlichen Stimme, die angefangen hatte, » Vergasen, vergasen « zu schreien, bevor Ard den Hörer aufgeknallt hatte.
»Was machen wir damit?«, hatte die Chefin vom Dienst gefragt, nachdem zwei Stunden so langsam vorangekrochen waren wie Kakerlaken über einen Esstisch. Die Redakteurin sammelte ergeben die Abschriften ein; sie sah aus, als hätte sie die Papiere am liebsten gleich wieder fallen lassen.
»Na ja, es gab doch auch andere Stimmen«, sagte Ard und fing an, nach einem Beweis zu suchen.
»Nicht viele«, wandte Kajsa Lagergren ein, aber zum Ende hin hatte sie mehrere gehört, die so klangen, als kämen nun allmählich andere Aspekte zum Zuge.
»Die Entscheidung muss ganz schön schwer sein.« Ard wandte sich zu der Redakteurin um, die die Verantwortung dafür hatte, wie das Material ausgewertet wurde.
»Es sind auch anständige Stimmen dabei«, sagte sie, »oder wenigstens welche, die vernünftig zu argumentieren versuchen.«
»Das ist eine Frage der Ethik.«
»Ja, der Urteilskraft. Das Abhören von ›Volkes wahrer Stimme‹.«
Gegen halb elf verließen Sten Ard und Kajsa Lagergren die Redaktion im fünften Stock. Sie blieben eine Weile vor der Glaswand mit dem weiten Blick auf Hisingen stehen. Die Lichter wie Sterne oder tausend Stimmen, dachte Kajsa Lagergren und sehnte sich nach ihrem Bett und gelöschtem Licht und der Stille der Nacht.
Jonathan Wide erwachte eine halbe Stunde bevor der Weckruf von der Rezeption kam. Er blieb eine Weile mit dem Schlaf in Körper und Seele liegen, und als er die Füße auf den Teppichboden setzte, fühlte er sich ausgeruht und bereit.
Der Frühstücksraum war hell, und Wide war erstaunt, dass er so gut besetzt war wie die Tanzveranstaltung am vergangenen Abend. Er sah einige glänzende Gesichter, gut rasiert, aber mit einem rosa Schimmer in den Augen, der verriet, dass es am Abend spät geworden und zu viel Alkohol im Spiel gewesen war; er würde seinen Tribut fordern, wenn er in den schweren Stunden am Nachmittag den Körper verließ: Bye-bye für diesmal, wir sehen uns wahrscheinlich wieder, auch wenn du’s im Augenblick nicht glauben magst.
Wide war stolz, er hatte ein
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