Geh Ich Auf Meine Hochzeit
überreden, kräftige dunkle Farben zu verwenden, um ihre grünbraunen Augen zu betonen.
»Etwas Kajal und ein goldener Lidstrich würden die bernsteinfarbenen Einsprengsel schön betonen«, hatte sie das letzte Mal gesagt, als sie auf dem Bett ihrer Mutter gelegen und dieser zugesehen hatte, wie sie sich für einen Abend mit Simon zurechtmachte.
»Dann sehe ich aus wie eine alte Schachtel, die dem Jugendlichkeitswahn verfallen ist«, hatte Evie eingewandt. »Das könnte ich nicht ertragen.«
Rosie seufzte. »Du bist noch keine hundert, Mama. Du bist siebenunddreißig. Die Aufsichtsbehörde für guten Stil würde dich sicherlich nicht verhaften, wenn du ausnahmsweise einmal nicht wie deine eigene Großmutter aussähest.« Rosie nahm den goldenen Lidstrich und zog eine schmale Linie entlang des unteren Wimpernrands. Das Ergebnis war erstaunlich: ihre Augen wirkten nun noch exotischer als sonst. »Sophies Mutter ist fünf Jahre älter als du und überlegt sich, ob sie sich ihren Bauchnabel piercen lassen soll.«
»Igitt!«, schnaubte Evie. »Etwas Schlimmeres kann ich mir gar nicht vorstellen. Wie soll sie denn damit aussehen? Willst du mich etwa auch so haben - eine verschrumpelte Mutter mit bauchfreiem Top, blondiertem Haar und einem Knopf in der Nase?«
»Nicht doch, Mama!« Rosie entknotete ihre langen, schlanken, in schwarz gekleideten Glieder und erhob sich. »Aber es würde dir nicht schaden, wenn du dich mal ein wenig peppiger anziehst. Du bist zu jung, um bereits Stützstrümpfe und zweiteilige Nylonensembles mit Blümchenmuster zu tragen.«
»So etwas käme mir nie in den Sinn«, hatte ihre Mutter protestiert und ein Fläschchen pinkfarbenen Nagellack auf Rosie geworfen, die ihn geschickt auffing.
»Dann trägst du im Augenblick also durchsichtige, sexy Strümpfe?« Rosie ließ nicht locker.
Evie betrachtete die schwarzen blickdichten Strümpfe, die sie zu den seltenen Gelegenheiten trug, wenn sie ihren einzigen, bei den Knien endenden Rock anhatte.
»Touché«, meinte sie grinsend.
Daran musste Evie jetzt denken, als sie sich im Badezimmerspiegel betrachtete. In der Hand hielt sie den bereits geöffneten rosafarbenen Lippenstift. Vielleicht wirkte sie tatsächlich ein wenig langweilig. Siebenunddreißig waren keine hundert, das stimmte. Doch Evie hatte sich über so viele Jahre hinweg vernünftig benehmen müssen, dass sie ganz vergessen hatte, ab und an einmal etwas ausgelassen und locker zu sein. Das wiederum konnte Rosie nicht nachvollziehen. Sie hatte keine Vorstellung davon, wie es war, als einundzwanzigjährige, verwitwete Mutter mit einem sechs Monate alten Baby dazustehen. Wenn man unter solchen Umständen nicht erwachsen wurde, ging man ganz einfach vor die Hunde. Außerdem hatte man nicht die Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, welche Strümpfe man anzieht oder welchen Lidstrich man benutzt.
Sie steckte den Lippenstift in ihre Make-up-Tasche zurück und durchsuchte den Badezimmerschrank nach einem bestimmten Rouge: er hatte eine dunkle Traubenfarbe. Vor längerem hatte sie ihn umsonst mit einer Zeitschrift bekommen, ihn jedoch nie benutzt.
Jetzt malte sie damit ihre Lippen an, bis ihr Mund dunkel leuchtete. Ängstlich befand sie es als zu übertrieben. Sie wischte ihn mit einem Stück Toilettenpapier wieder ab und trug ihre gewohnte Farbe auf.
Zehn Minuten später war sie fertig. Ihre Haare hingen in üppigen Locken auf die Schultern, wo sie den Kragen des langärmeligen Samtkleides berührten. Das Kleid war bis zur Taille körpernah geschnitten, weitete sich über den Hüften und endete auf mittlerer Wadenlänge. Evie trug transparente schwarze Strümpfe und Schuhe aus Krokodillederimitat. Heute Abend jedenfalls verzichtete sie auf blickdichte Strümpfe für alte Frauen. Als sie sich Rosies Begeisterung vorstellte, musste sie lächeln.
Evie hätte gerne einen schönen Anhänger gehabt, um den Halsausschnitt zu betonen. Doch seit sie den Diamantring besaß, wirkte all ihr übriger Schmuck lächerlich daneben. Das winzige Medaillon mit einem Opalstein sah an seiner dünnen Goldkette in Kombination mit dem Diamantring wie eine Puppendekoration aus. Also ließ sie ihren Hals frei.
Das Taxi war bereits vorgefahren, als sie aus dem Haus trat und das Telefon klingelte.
»Hallo, Mama. Ich bin bei Sophie«, meldete Rosie sich. »Und werde nicht allzu spät nach Hause kommen.«
»Was heißt ›nicht allzu spät‹?«, erkundigte Evie sich, während sie in den Flurspiegel schaute und
Weitere Kostenlose Bücher