Geheimauftrag Phantom
Sie trugen das Haar hochgesteckt. »Tut uns leid, wir wissen auch nicht, wo sie ist.«
»Beim Essen vielleicht?«
»Nein, das liegt schon hinter uns.«
»Sie kann auch zum See gegangen sein«, meinte die zweite. »Da treffen wir uns oft.«
Da die beiden ihre Scheu überwunden hatten, waren sie redselig geworden. Ich wollte von ihnen wissen, ob es in der Schule immer so ungewöhnlich still war.
»Nein, nie.«
»Warum jetzt?«
»Da sind die unteren Klassen schon in den Ferien. Nur wir, die letzte Klasse, sind noch da. Für uns geht es um die Prüfungen, wir müssen noch etwas tun.«
Ich bedankte mich bei den Schülerinnen für die Auskünfte und fragte noch, ob die Mädchen einen bestimmten Platz am See hatten, wo sie sich trafen.
»Ja, am oder im Bootshaus. Sie fahren allerdings auch auf das Wasser, wenn es ihnen in den Kopf kommt.«
»Hat der Lago nicht gefährliche Strömungen?«
»Nicht hier, weiter unten, schon in Italien, vor allem in der Seemitte.«
Einigermaßen beruhigt und trotzdem innerlich unruhig trennte ich mich von ihnen. Ich wußte auch nicht, was das sollte. Was konnte ich von Angels Verschwinden halten? Sie und die anderen mußten wissen, daß ein Killer lauerte und sie sich in Gefahr begaben, wenn sie des Nachts unterwegs waren. Für mich zählte auch das Argument nicht, daß sich der Mörder nie auf dem Wasser gezeigt hatte. So etwas konnte sich sehr schnell ändern. Was, zum Henker, trieb die Mädchen aus dem Haus?
Ich wollte mit der Schulleitcrin darüber reden, fand sie aber nicht und landete schließlich am Empfang, wo niemand mehr saß. Kopfschüttelnd blieb ich in der Halle stehen. Allmählich kam es mir vor, als hätten alle vor mir Reißaus genommen. Ich schaute durch das Türglas. Nur von den Tennisplätzen hörte ich das typische Klock-Klock, wenn die Bälle auf die Schläger trafen.
Aus der Schule war ein Sanatorium geworden. Nein, so ganz traf der Vergleich nicht zu. In einem Sanatorium herrschte eine natürliche Ruhe. Diese hier besaß für mich einen unnatürlichen Ursprung. Sie war künstlich gelegt worden, möglicherweise auch ein Stück Angst. Ich ging nach draußen.
Die Luft war wesentlich schwerer und feuchter geworden. Sie drückte, ein regelrechtes Kopfschmerzwetter. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Schleifen.
Das Geräusch erzeugte auf meinem Rücken einen Schauer. Ich drehte mich um und schaute in das starre und irgendwie lauernde Gesicht eines gebückt gehenden Mannes, der einen mit Müll gefüllten grünen Plastiksack hinter sich herschleppte. Der Mann kam auf mich zu. Er hatte ein Gesicht zum Fürchten. Zwei breite, tiefrote Narben zeichneten das Gesicht auf beiden Wangen. Die Augen wirkten wie gläserne Kugeln. Wenn der Mann atmete, hörte es sich an, als würde eine Lok schnaufen.
Er blieb stehen, ohne den Plastiksack loszulassen. Über dem sehr eng anliegenden Hemd trug er einen blauen Overall, der schon verwaschen wirkte.
Ich sagte nichts, auch er hielt sich zurück, bis ich lächelte und ihm zunickte. »Wer sind Sie?«
Ein Knurren bekam ich als Antwort.
Dazwischen klangen auch einige italienische Worte durch. Sahen so Mörder aus?
Im ersten Augenblick hatte ich tatsächlich daran gedacht, zwang mich jedoch, fair zu bleiben. Man soll einen Menschen nicht nach dem Äußeren beurteilen.
Der Mann kam noch einen Schritt näher und grüßte.
Ich grüßte zurück und kramte mein Italienisch zusammen, weil ich wissen wollte, was er hier tat.
»Es ist Erwin, unser Faktotum — Mädchen für alles und gleichzeitig Hausmeister.« Die Stimme gehörte Madame Sousa. Ohne daß ich sie bemerkt hatte, war sie erschienen.
Ich drehte mich um. Sie ging die letzten beiden Schritte auf mich zu.
»Fast hätte ich an etwas anderes gedacht.«
»Ich weiß, aber täuschen Sie sich nicht. Erwin kann keiner Fliege etwas zuleide tun.« Madame Sousa ging zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Nicht wahr, mein Freund?«
Erwin lächelte und nickte.
»Geh du jetzt und räume weiter auf. Und gib auf die Mädchen acht. Du bist der Beschützer.«
»Si, si, Madame.«
Erwin schlurfte weiter. Ich schaute ihm so lange nach, bis er durch ein kleines Tor verschwunden war. Dann hörte ich die Frage der Frau. »Na und, Mr. Sinclair?«
»Nichts und, Madame. Ich denke nur gerade über gewisse Dinge nach. Das Castello kommt mir verlassen vor.«
Madame nickte. »Die Mädchen haben sich zurückgezogen. Sie wollen eben kein Risiko eingehen.«
»Sind nicht einige von
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