Geheimauftrag Phantom
erreicht, und die beiden Bootskörper schabten gegeneinander.
»Wieso gefiel es Ihnen besser?«
Ihr Gesicht war schwer zu erkennen. Gern hätte ich den Ausdruck darin gesehen. »Das kann ich Ihnen sagen. Wenn ich mich nicht irre, sind vier Ihrer Schülerinnen auf den See hinausgerudert und haben die schützenden Mauern verlassen.«
»Stimmt.«
»Weshalb taten sie es?«
»Ich müßte lügen, wenn ich nicht den Grund wüßte. Diese vier Mädchen sind etwas Besonderes. Sie haben sich zusammengefunden und versuchen, einer neuen Religion nachzugehen. Sie lieben die Natur und glauben daran, daß sie durch die Naturgeister, insbesondere die Mutter Erde, beschützt werden können.«
»Ach, die Urmutter.«
»So ist es.«
»Wie sehen Sie das?«
Madame Sousa hob die Schultern. »Wenn ich von den Tarot-Karten ausgehe, dann meine ich, daß es so etwas gibt. Wissen Sie, ich gehöre zu den Menschen, die gern hinter die Dinge schauen wollen. Sie können das als eine metaphysische Veranlagung bezeichnen, es ist auch so.«
»Sehr schön, Madame. Dann sagen Sie mir nur, wie der Mörder in ihr metaphysisches Weltbild hineinpaßt.«
Sie nickte bedächtig. »Das frage ich mich auch, Mr. Sinclair, und bin zu keiner Antwort gelangt. Es tut mir leid, ich kann diesen Mörder nicht einordnen.«
»Wie auch ich.«
»Wer sind Sie denn?« Die Frau war näher an den Bordrand herangerückt, hatte eine Hand ausgestreckt und umklammerte den Rand meines Bootes.
»Ich komme aus England.«
»Das weiß ich. Auf mich machen Sie den Eindruck eines Polizisten, den ein geheimnisvolles Flair umgibt, der möglicherweise den Tod mitgebracht hat und…«
»Wieso den Tod?«
»Lassen Sie mich ausreden, Mr. Sinclair. Ich habe die Karten gelegt und als Mittelpunkt den Tod aufgedeckt.« Ihre Stimme hatte einen beschwörenden Klang bekommen. »Verstehen Sie nun, daß ich in großer Sorge bin?«
»Das glaube ich Ihnen.«
»Mir geht es um die Mädchen. Wenn der Tod, der Mörder, noch einmal zuschlägt, kann alles vorbei sein. Ich würde mir mein Leben lang Vorwürfe machen.«
»Mir erginge es ebenso.«
»Dann sind wir uns ja einig. Ich schlage vor, daß wir zu ihnen rudern und sie wegholen. Sie müssen in den Schutz der Castello-Mauern, alles andere könnte tödlich enden.«
»Einverstanden. Ich frage mich nur, weshalb sie auf den See gerudert sind.«
»Um noch einmal gewisse Geister zu beschwören, bevor es zu einer längeren Trennung kommt.«
»Deshalb also.«
»Ja, und wir werden sie retten.«
Ich hörte nicht mehr hin, denn mir war etwas aufgefallen. Vom Schilfgürtel her trieb etwas Dunkles auf unsere beiden Boote zu. Ich hatte es ebenso wenig erkennen können wie Madame Sousa. Der Gegenstand sah mir sehr nach Umweltverschmutzung aus, irgendein Teil, das jemand ins Wasser geworfen hatte.
»Nein«, sagte Madame Sousa leise. »Das ist kein Karton, auch kein Blech oder eine Kiste…« Ihre Stimme fror plötzlich ein… Ich gab keinen Kommentar, wußte allerdings, daß Madame Sousa nicht gelogen hatte. Nur konnte ich auf einige Erfahrungen zurückblicken, die ihr glücklicherweise erspart geblieben waren. Leider wußte ich zu genau, wie Wasserleichen aussahen. Es war eine Leiche, die an unser Boot herantrieb. Luft hatte sich unter der Kleidung gesammelt und dem Körper etwas Ballonhaftes gegeben, vor allem jedoch Auftrieb. Ich leuchtete ihn mit meiner Bleistiftleuchte an und schaltete sie wieder aus, denn der Strahl hatte das Gesicht getroffen, das so schlimm aussah wie…
Mir fehlte der Vergleich.
»Was ist denn, Mr. Sinclair?«
»Bleiben Sie ruhig, Madame«, sagte ich mit kratziger Stimme. »Bleiben Sie bitte ruhig. Es ist ein Toter, der uns da entgegentreibt.« Mit einem Ruderblatt stoppte ich ihn.
»Nein!« Sie schrie das Wort. Dann fragte sie: »Nicht eines der Madchen — oder?«
»Aber der Hausmeister.«
»Erwin?« Sie sprach den Namen so aus, als wollte sie ihn kaum glauben.
»Ja.«
»Mein Gott, das ist… das ist…« Ich merkte, daß sie sich bewegte, um sich den Toten genauer anzusehen. Mit scharfer Stimme riet ich ihr, nicht hinzuschauen.
»Weshalb denn nicht?«
»Weil er einfach zu schlimm aussieht. Sein Mörder muß ein furchtbares Wesen sein.«
»Der Killer mit dem Messer.«
»Bestimmt nicht.« Ich hielt die Leiche noch immer und drehte mich zu der wie festgeklebt im Boot sitzenden Madame Sousa um. »Passen Sie jetzt auf. Rudern Sie bitte so schnell wie möglich zurück zum Ufer und überlassen Sie alles weitere
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