Geheimauftrag Phantom
nicht. Mit der Zungenspitze strich sie über die Lippen, als wollte sie ihn dort schmecken. Dabei klopfte ihr Herz abermals stärker, in den Augen spürte sie ein Brennen. Auf den Handflächen bildete sich Schweiß.
Wenn die Mädchen nur keinen Unsinn machten und mit Kräften spielten, die sie nicht beherrschten.
Madame Sousa wußte von der Einstellung ihrer Schülerinnen. Die vier beschäftigten sich sehr mit der Magie aus der Natur. Sie wollten herausfinden, ob es bestimmte Dinge tatsächlich gab. Außerdem wollten sie gewissen Gesetzen auf den Grund gehen.
Ob sie es geschafft hatten, war ihr unbekannt. Sie hatte zudem nie danach gefragt.
Sehr langsam schlenderte sie auf den schmalen Strand zu und erschrak, denn nur mehr zwei Boote lagen dort. Die anderen vier waren bereits ins Wasser gelassen worden.
Madame Sousa blieb dort stehen, wo die Wellen ausliefen und schaute über den See.
Viel konnte sie nicht sehen. Die dunkle Fläche des Wassers, darüber der Dunst, der sich wie lange Fahnenstücke an der Oberfläche festklammerte und sich so gut wie nicht bewegte, da Windstille herrschte.
Bei diesem Wetter fuhren kaum noch Boote. Die Ausflugsschiffe hatten jedenfalls angelegt, und der Lago Maggiore glich einem schon toten Meer.
Die Rektorin bückte sich und umklammerte mit beiden Händen das Heck des Kahns. Er war schwerer, als er aussah. Sie hatte schon Mühe, ihn ins Wasser zu lassen. Der Sand war ihr dabei eine Hilfe. Er kratzte über den Kiel wie Scheuerpulver.
An den Füßen wurde sie etwas naß, als sie den Kahn enterte. Sie griff nach den beiden Rudern, wollte sie ins Wasser tauchen und warf noch einmal einen Blick zurück.
Sie konnte in den Park hineinschauen, wo sich ebenfalls dünne Nebelschleier ausgebreitet hatten. Bewegte sich dort eine Gestalt auf das Ufer zu?
Madame Sousa wischte über ihre Augen, schaute wieder hin, da war die Gestalt verschwunden.
Wenn sie tatsachlich vorhanden gewesen war, so hatte sie jedenfalls nicht erkennen können, um wen es sich handelte.
Allerdings dachte sie dabei an John Sinclair, der schließlich zum Schutz der Angel Torham abgestellt worden war.
Aus diesem Mann wurde sie nicht schlau. Sie hatte jedenfalls das Gefühl, von ihm durchschaut worden zu sein. Das war gar nicht gut, fand sie und tauchte die beiden Ruderblätter in das graugrüne Wasser des Lago Maggiore.
Auch Madame Sousa ruderte auf den See hinaus und damit in die Schwaden hinein, die ihr vorkamen wie lange, graue Todesschatten, die alles schützten, auch einen dreifachen Killer…
***
An diesem Abend war noch jemand unterwegs!
Durch den Park hetzte keuchend eine geduckte Gestalt. Ein Mann, der wußte, daß der Tod bereits mit seiner gewaltigen Sense ausgeholt hatte und sie über die Köpfe der Menschen hinwegschwang. Erwin, das Faktotum, der Hausmeister, das Mädchen für alles, der vor allen Dingen von den jüngeren Schülerinnen belächelt wurde. Okay, er gehörte nicht eben zu den großen Geistesleuchten, dafür besaß er etwas anderes: Gespür, Intuition, außerdem liebte er die Menschen. Er wollte auf keinen Fall, daß ihnen ein Leid geschah, wer immer es auch war. An diesem Abend hatte sich alles verdichtet. Er spürte genau die gefährlichen Ströme, die unsichtbar durch die Luft glitten, die das Böse ausgeschickt hatte.
An der Rückwand der Hütte blieb er stehen, bis sich sein Atem beruhigt hatte.
Er schielte durch einen Spalt in das Innere, ohne daß er etwas erkennen konnte. Dann ging er zum Ufer. Seine Schuhe schleiften durch den Sand, und als er dort stehenblieb, wo normalerweise die Boote ihren Platz fanden, drang ein Schluchzlaut aus seinem Mund. Keines war mehr da.
Er ballte die Hände, ging nach links, suchte zwischen den Bäumen, sah dort auch nichts und wirkte plötzlich hilflos. Mit der rechten Schulter lehnte er sich gegen einen Baumstamm.
In dieser Haltung blieb er für die Dauer einiger Minuten stehen, um auf das Wasser zu starren, wo er sowieso nicht viel erkennen konnte. Doch er sah die Lichter.
Weit vom Ufer entfernt bewegten sie sich auf dem See wie geheimnisvolle Botschaften inmitten des gespenstisch anmutenden Nebels. Warum war dies geschehen?
Erwin fiel es schwer, nachzudenken, doch er entdeckte, daß die Schülerinnen es trotz der widrigen Umstände gewagt hatten, auf den See hinauszurudern.
Das war schlimm.
Erwin räusperte sich. Er überlegte verzweifelt, was er tun konnte. Er wollte die Mädchen warnen.
Ohne Boot war das schlecht. Ihm blieb nur mehr
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