Geheimauftrag Phantom
hervor. Es war ein Zeichenblock!
***
Ich bekam es nicht so richtig mit, denn vor mir leuchteten die Bremslichter warnend auf. Das Tempo verringerte sich innerhalb von Sekunden.
Die Beleuchtung war mies. Ich konnte mich nur darüber wundern, daß Angel jetzt anfing zu malen. Ich hätte da nicht genug erkennen können. Sie preßte den Atem hervor, als würde sie unter einem schweren Druck stehen. Auf ihrer Stirn glitzerte plötzlich Schweiß, dabei atmete sie mit halb geöffnetem Mund.
»Was haben Sie?«
»Ich… ich möchte malen.«
»Bei dem Licht?« Ich wollte lachen, doch es verging mir, als ich ihre mit völlig fremder Stimme gegebene Antwort hörte.
»Es geht nicht anders, ich muß malen.«
Verdammt, mit dem Mädchen stimmte etwas nicht. Und auch nicht mit dem Verkehr, denn wieder flackerten die Bremslichter des Tanklastzugs. Er verlor noch mehr Tempo, und auch ich tippte einige Male gegen das Bremspedal.
»So habe ich es mir vorgestellt«, sagte Angel leise. »Wir werden bald feststecken.«
»Noch läuft der Verkehr.«
»Nicht mehr lange.«
Sie hatte recht. Nach einigen Sekunden kam der Fluß aus Wagen wenigstens auf unserer Seite zum Erliegen. Wir standen…
»Ich habe es gewußt«, sagte Angel und tippte mit der dünnen Bleistiftspitze in Richtung Frontscheibe. »Ich habe die Katastrophe gefühlt. Ich wußte, daß sie kommen würde.«
»Noch ist nichts passiert, Angel. Wir haben nur angehallen. Wahrscheinlich hat jemand eine Panne.«
»Nein, das ist es nicht.«
»Was denn?«
Sie drehte kurz den Kopf und schaute mich an. Ihr Gesicht wirkte im Dämmer des Fahrzeugs ungewöhnlich grau. Dafür waren die Augen heller hervorgetreten. Die Luft stand, sie war stickig geworden und stank auch. Sämtliche Motoren waren abgestellt worden, nur auf der Gegenfahrbahn lief der Verkehr weiter. Als ich die Scheibe ein Stück nach unten drehte, hörten wir die zischenden Geräusche.
»Ich habe Sie etwas gefragt, Angel!«
Das Mädchen räusperte sich, zog die Beine an und legte den Zeichenblock hochkant auf die Oberschenkel. »Ich spüre es wieder in mir«, sagte sie leise. »Immer wenn ich in die Dunkelheit hineingerate, kommt es auf mich zu.«
»Was kommt auf Sie zu?«
»Der Schatten, John, der Schatten.« Sie lachte rauh wie ein Mann. »Ja, du hast recht gehabt, es ist nicht nur ein Killer gewesen. Es können hunderte sein, tausende, Monstren, Mutanten. Sie kommen aus anderen Welten, sie entstehen in meinem Hirn. Immer wenn es finster wird, dann werde ich zu einer anderen.«
»Jetzt mal genau. Zu wem?«
»Zur Sklavin meines zweiten Ichs. Ich weiß nicht, woher es kommt, aber ich führe eine Doppelexistenz. Mein Vater ist sehr besorgt um mich, das kann ich sogar verstehen. Eltern, die ein Findelkind angenommen haben, lieben es oft mehr als das eigene, wenn du begreifst, was ich meine, John. Verstehst du das?«
»Nicht ganz.«
»Es muß raus, John Sinclair. Es muß einfach raus. Ich kann es nicht mehr halten.«
»Was denn?«
»Meine zweite Existenz, mein Über-Ich. Ich weiß nicht, woher ich kam, wer meine richtigen Eltern waren. Vielleicht hat der Teufel mit einer Hexe gebuhlt, so daß ich als Wechselbalg hervorkam. Vieles ist möglich, und es gibt kein Zurück mehr.«
»Himmel, Angel, du…«
Sie lachte kreischend und warf sich dabei vor und zurück. »Angel, hat man mich genannt — Engel. Ja, ich bin ein Engel, aber ein Todesengel, Johon Sinclair. Ein gefährlicher Todesengel. Ich bringe den Tod, ich habe sie auf dem Gewissen.«
»Du bist doch nicht der Killer, Mädchen!«
Scharf drehte sie den Kopf und starrte mich an. »Soll ich es dir beweisen?«
Ich vertraute auf meine eigene Stärke und nickte.
»Dann gib acht.« Sie senkte den rechten Arm, die Hand und damit auch den Bleistift. Was weiterhin in dem Tunnel geschah, kümmerte mich nicht. Angel Torham nahm mich voll und ganz in Anspruch. Daß sie musisch begabt war, hatte ich erfahren und auch behalten. Daß sie jedoch eine perfekte Malerin war, das erkannte ich in den folgenden Sekunden. Die Bleistiftspitze huschte so rasch über das Papier, daß ich ihr mit den Augen kaum folgen konnte.
Auf dem hellen Blatt entstand ein düster aussehender Bogen, eine Art von Stollen. Sehr bald erkannte ich, daß es sich dabei um einen Tunnel handelte, um unseren, denn die Umrisse des vor uns stehenden Tanklastwagens konnte ich deutlich erkennen. Sie malte das, was sie sah, brauchte aber nicht aufzuschauen. Wie ein Automat arbeitete sie.
Perspektivisch
Weitere Kostenlose Bücher