Geheimcode Makaze
freiliegenden Vorschiff. Der aus der Düne ragende Vorderteil wirkte geradezu unwirklich, so als wäre das Schiff in Höhe des nahezu waagerecht liegenden Schornsteins, dessen oberer Rand mit der Korallenwand verwachsen war, auseinander geschnitten. Anhand der kleinen Brücke und des langen Vordecks erkannte Pitt, dass es sich um einen herkömmlichen Hochseefrachter handelte. Seiner Schätzung nach war er etwa sechzig Meter lang. Als sie über das schräg liegende Wrack hinwegschwammen, sah er, dass die hölzernen Decksplanken in den warmen philippinischen Gewässern längst verfault und zersetzt waren.
»Die Geräte da sehen ja ziemlich altertümlich aus«, stellte Giordino fest, während er zwei rostige Kräne betrachtete, deren Ausleger wie ausgestreckte Arme übers Deck ragten.
»Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, es wurde in den zwanziger Jahren gebaut«, erwiderte Pitt, als er an der Reling entlangschwamm, die offenbar aus Messing bestand.
Pitt glitt über das Vorschiff hinweg, bis er auf zwei große, verschlossene Luken stieß, unter denen die vorderen Frachträume liegen mussten. Er hatte damit gerechnet, dass die Lukendeckel aufgrund der starken Schlagseite abgerissen waren, doch dem war nicht so. Gemeinsam schwammen die beiden Männer um jede Luke und suchten nach Schäden und Lecks.
»Fest verschlossen und dicht wie ein Teerfass«, sagte Giordino, als sie zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrten.
»Irgendwo muss doch ein Loch sein.«
Schweigend dachte Pitt nach, dann stieg er auf, bis er die Steuerbordseite unter sich sah. Zu beiden Seiten des Schiffsrumpfes ragten steile Korallenwände auf. Er schwamm an der Steuerbordwand hinab bis zu dem teilweise freiliegenden Kiel und arbeitete sich langsam in Richtung Bug vor. Kurz darauf hielt er plötzlich inne. Unmittelbar vor ihm zog sich ein fast anderthalb Meter breiter und gut sechs Meter langer Riss an der Steuerbordwand entlang bis zur Bugspitze. Ein lauter Pfiff gellte ihm in die Ohren, als Giordino zu ihm stieß und das klaffende Leck betrachtete.
»Genau wie bei der
Titanic
«, sagte er staunend. »Nur dass es nicht von einem Eisberg aufgeschlitzt wurde, sondern von Korallen.«
»Es muss absichtlich auf Grund gesetzt worden sein«, vermutete Pitt.
»Auf der Flucht vor einem Taifun möglicherweise.«
»Vielleicht auch vor einem Zerstörer der Navy. Der Leyte-Golf, wo 1944 die japanische Flotte vernichtend geschlagen wurde, ist ganz in der Nähe.«
Die Philippinen waren, wie Pitt sich entsann, im Zweiten Weltkrieg heiß umkämpft gewesen. Mehr als sechzigtausend Amerikaner hatten bei der vergeblichen Verteidigung und späteren Wiedereroberung der Inseln ihr Leben verloren, ein nahezu in Vergessenheit geratener Blutzoll, der die Verluste in Vietnam weit überstieg. Nach dem Überraschungsangriff auf Pearl Harbor waren japanische Truppen in der Nähe von Manila gelandet und hatten die auf Luzon, Bataan und Corregidor stationierten amerikanischen und philippinischen Streitkräfte binnen kürzester Zeit überrannt. Nach General MacArthurs eiligem Rückzug hielten die Japaner das Land drei Jahre lang besetzt, bis die Amerikaner im Zuge ihres Gegenangriffs im Oktober 1944 auf der im Süden des Landes gelegenen Insel Leyte Fuß fassten.
Die rund hundert Meilen von Panglao entfernte Provinz Leyte und vor allem der Golf waren der Schauplatz der größten Luft- und Seeschlacht der Geschichte gewesen. Wenige Tage nach der Landung von MacArthurs Invasionstruppen war die kaiserliche Marine aufgetaucht, der es gelungen war, die zur Unterstützung dienenden amerikanischen Seestreitkräfte zu trennen. Um ein Haar hätten die Japaner die Siebte Flotte vernichtet, wurden aber letztlich doch zurückgeschlagen und aufgerieben, wobei sie vier Flugzeugträger und drei Schlachtschiffe verloren, darunter auch die gewaltige
Musashi
. Die schweren Verluste bedeuteten das Ende der japanischen Herrschaft im Pazifik und führten zum militärischen Zusammenbruch des Landes im darauffolgenden Jahr.
Die Seewege rund um die südlichen Inseln Leyte, Samar, Mindanao und Bohol waren regelrecht mit gesunkenen Frachtern, Truppentransportern und Kriegsschiffen übersät. Daher wäre Pitt nicht weiter überrascht gewesen, wenn das Gift von irgendwelchen Kampfstoffen stammen würde. Der Riss im Rumpf deutete jedenfalls darauf hin, dass dieses Schiff dem Krieg zum Opfer gefallen war.
Pitt konnte sich gut vorstellen, wie der unter japanischer Flagge fahrende Frachter aus der
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