Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheime Macht

Geheime Macht

Titel: Geheime Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
Vom Netzwerk:
lassen.«
    Juristisch gesehen hatte das Rudel ähnliche Rechte wie ein Stamm amerikanischer Ureinwohner, mit Selbstverwaltung und eigenem Gesetzesvollzug. Wenn ein Gestaltwandler auf dem Territorium des Rudels starb, war das eine Angelegenheit des Rudels. Diese Gestaltwandler waren jedoch innerhalb der Stadtgrenzen gestorben, also musste die PAD dazwischenfunken. Aus gutem Grund waren sie nicht gerade Fans der Gestaltwandler.
    Wir existierten in der Grauzone zwischen Mensch und Tier. Diejenigen von uns, die menschlich bleiben wollten, lebten nach dem Kode. In diesem strengen Regelwerk ging es um Disziplin und Mäßigung und Gehorsam gegenüber der Befehlskette. Manchmal versagten die menschlichen Bremsklötze, und ein Gestaltwandler warf die Regeln über Bord und wurde zum Loup. Loups waren sadistische, mordlustige Wahnsinnige. Sie schwelgten in Blut, Kannibalismus und jeder anderen Perversität, die ihre durchgedrehten Gehirne ausbrüten konnten. Das Rudel erledigte sie mit gnadenloser Härte, aber das hielt die PAD nicht davon ab, jeden Gestaltwandler als potenziellen Amokläufer zu betrachten. Immer wenn Gestaltwandler in einen Mord verwickelt waren, versuchten sie sich einzumischen.
    Nicht, dass sie damit irgendetwas erreichten. Die Anwälte des Rudels waren raubgierige Bestien.
    Ich hockte mich neben die nächste Leiche und richtete die Kamera darauf. Der Blitz tauchte die Szene für einen Sekundenbruchteil in blendendes Licht. Die Kamera schnurrte und druckte das Foto aus. Ich zog es heraus und wedelte einen Moment damit herum, um es trocknen zu lassen, bevor ich es in einen Umschlag steckte.
    Der Tote schien Ende fünfzig zu sein. Gestaltwandler hielten sich gut, also konnte er genauso gut die siebzig überschritten haben. Die Haut seiner Stirn war olivfarben, ein warmer Ton, der typisch war für Menschen vom indischen Subkontinent. Das war die einzige Hautstelle, die keine Verletzungen erlitten hatte. Große Blasen überzogen seine Wangen, den Hals und die Arme. Die Haut hatte sich von den Muskeln gelöst, war geschwollen, straff gespannt und völlig schwarz.
    Ein weiteres Polaroid.
    »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte Stefan.
    Ich schon. »War die Gerichtsmedizin schon hier?«
    »Ja. Aber wir haben sie verjagt.«
    Klar, selbst wenn Mitglieder des Rudels außerhalb ihres Territoriums starben, hatte das Rudel das Recht, ihre Leichen abzuholen. Und genau genommen war das Gebäude Eigentum des Rudels, weil Raphael es gekauft hatte. Daran hätte ich denken müssen. Sie rosten ein, Ms Nash, Sie rosten ein.
    Ich reichte ihm die Polaroid-Kamera. »Könntest du sie für einen Moment halten?«
    Er nahm die Kamera entgegen. Ich zog ein Messer von meinem Gürtel und schnitt das Hemd des Toten bis zur Brust auf. Der dünne Stoff teilte sich ohne Schwierigkeiten. Dann schlitzte ich die Ärmel auf und drehte die Leiche vorsichtig auf die Seite. Ich bemerkte eine große Schwellung auf der linken Schulter, gleich über dem Schlüsselbein. Mit dem Messer ritzte ich den unteren Rand der Blase auf. Leichenflüssigkeit schoss heraus, schwarz und mit Blutschlieren durchzogen. Gleichzeitig schlug mir der Gestank entgegen, der üble Geruch von verfaultem Fleisch.
    Stefan fluchte und sprang zurück.
    »Wenn du kotzen musst, tu es freundlicherweise im Tunnel.«
    Er beugte sich vor und schüttelte den Kopf. »Nein, mir geht es gut. Mir geht es gut.«
    Ich zog die erschlaffte Haut nach unten. Der Mann hatte zwei unregelmäßige Einstiche im Rücken, knapp unterhalb der Schulter, in der Nähe des Nackens. Durch die Schwellung waren sie vorher nicht zu sehen gewesen.
    »Was ist das?«
    »Ein Schlangenbiss.«
    »Wir sind doch immun gegen Schlangengift.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Willst du mich verarschen?«
    »Keineswegs. Aus offensichtlichen Gründen machen Gestaltwandler diese Tatsache nicht publik, aber wenn eine Mokassinschlange dich beißt, spürst du es.«
    Stefan sah mich blinzelnd an. »Unsere Knochenbrüche heilen schnell, und wir sind gegen Krankheiten und Gift immun.«
    »Wir sind sehr resistent gegen Gift, aber nicht immun. Erinnerst du dich an Erra?«
    Stefans Blick wurde düsterer. »Ja, ich erinnere mich.«
    Erra war Kates Tante und ihr Geheimnis. Kates Familie verfügte über magische Kräfte, die Art von Magie, die Städte einebnete und die Geschichte antiker Zivilisationen beeinflusst hatte. Ihre Tante hatte mehrere Jahrtausende geschlafen, aber die Rückkehr der Magie hatte sie geweckt. Dann war

Weitere Kostenlose Bücher