Geheime Macht
sie nach Atlanta gekommen, um Ärger zu machen, und hätte die Stadt beinahe zerstört. Eine ihrer Schöpfungen, die sie Gift genannt hatte, war in die Häuser des Wolf-Clans in der Stadt eingebrochen und hatte sämtliche Bewohner vergiftet. Die Leute waren unter Todesqualen gestorben. Das war der Weckruf für das Rudel gewesen. Gestaltwandler konnten vergiftet werden, wenn das Gift stark genug war.
»Die meisten Infektionskrankheiten haben eine virale oder bakterielle Ursache«, sagte ich. »Weil Lyc-V ein sehr eifersüchtiges Virus ist, schaltet es alle anderen Eindringlinge sehr schnell aus. Aufgenommenes Gift gelangt zunächst in den Magen. Sobald es versucht, in den Blutkreislauf einzudringen, wird es von Lyc-V eliminiert. Ein Schlangenbiss ist eine ganz andere Geschichte.«
Ich erhob mich, nahm mir ein Taschentuch und wischte mir die Hände ab. »Eine Schlange injiziert ihre Toxine direkt in den Körper, und diese Toxine sind biologische Enzyme, die zum Beispiel gerinnungsfördernd wirken. Manche wirken sich nur an der Bissstelle aus, andere greifen das Nervensystem an, und Lyc-V erkennt nicht alle Bestandteile als Gefahr, bis die Schädigungen um sich greifen.«
»Und was ist das für ein Zeug?«
»Ein Hämotoxin. Wahrscheinlich von einer Viper. Sobald das Gift in den Körper eindringt, lässt es das Blut gerinnen, wodurch die Blutgefäße verstopft werden. Lyc-V ist in jedem Körpergewebe vorhanden, aber hauptsächlich im Blutkreislauf. Wenn die Arterien verstopft sind, kommt das Virus nicht mehr schnell genug an das Gift heran, um es unschädlich zu machen. Ich kannte einmal einen Werbüffel, der in ein Klapperschlangennest fiel. Als wir seine Leiche herauszogen, sah er genauso aus.«
Stefan betrachtete den Toten. »Wie konnte eine Schlange ihn in den Rücken beißen? Er hat sich doch bestimmt nicht auf den Boden gelegt. Er hat bestenfalls gesessen.«
Gestaltwandler nahmen es mit der persönlichen Körperhygiene sehr genau. »Dreckiges Tier« war eine häufige Beleidigung, mit der Menschen uns bedachten. Die Wachen hätten sich niemals auf den Erdboden gelegt, wenn es nicht unbedingt notwendig gewesen wäre.
»Ich weiß es nicht.« Ich zog ein Lineal aus meiner Ausrüstungstasche und hielt es an die Bissspuren. Acht Komma fünf Zentimeter. Fünf Zentimeter deuteten auf eine große Schlange hin. Sechs Zentimeter wären eine fünf Meter lange Klapperschlange. Achteinhalb Zentimeter waren völlig verrückt.
»Ich kann nur sagen, wenn ich eine intelligente Schlange wäre, würde ich genau an dieser Stelle zubeißen«, erklärte ich. »Eine Gerinnung in den Arterien, die zum Gehirn führen, würde den Tod ungefähr so schnell eintreten lassen.« Ich wollte mit den Fingern schnipsen, hatte aber für einen Moment vergessen, dass ich Latexhandschuhe trug.
»Also haben wir es hier mit riesigen, superschlauen Vipern zu tun, die sich hier hereinschlängelten, unsere Leute töteten, den Tresor öffneten, irgendetwas daraus gestohlen haben und anschließend unbemerkt wieder hinausgeschlängelt sind?«
»Scheint so.«
»Okay. Ich wollte mich nur vergewissern, dass es nichts Gefährliches war.«
Ich bedachte ihn mit einem knappen Lächeln und setzte dann die Spurensicherung fort. Der Tatort war ein Albtraum. Raphaels Arbeiter hatten ihn vor kaum zwölf Stunden verlassen, und zwei Dutzend Witterungen zogen sich über den Boden, ganz zu schweigen von dem Gestank, der von den Toten aufstieg. In der Hitze von Georgia zersetzten sich Leichen selbst so tief unter der Erde sehr schnell.
Eine flüchtige Untersuchung förderte an den Toten mehrere Schlangenbisse zutage. Ich maß vier unterschiedliche Giftzahnabstände und notierte mir die Werte. Dann unterteilte ich den Tatort in Sektionen, die ich der Reihe nach absuchte, von Wand zu Wand, wobei ich jeden Kronkorken und jedes Haar auflas.
Ein Lastwagen des Rudels traf ein, mit dem die Leichen zur Festung gebracht werden sollten, dem riesigen Hauptquartier des Rudels knapp außerhalb von Atlanta, von dem jeder behauptete, dass es keine Burg war, obwohl es in jeder Hinsicht wie eine aussah. Ich machte ein paar Notizen für Doolittle, den Heilmagier des Rudels, und erwähnte auch meine Schlangentheorie. Er würde die Leichen obduzieren. Ich schob die Fingerabdrücke, die ich gesammelt hatte, in einen großen Umschlag und adressierte ihn an Jim. Das Rudel hatte eine eigene Fingerabdruckdatenbank, und Jim hatte wesentlich bessere Voraussetzungen als ich, sie zu
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