Geheime Macht
waren, hatte er hauptsächlich Auftragsarbeiten übernommen. Immobilieneigentümer hatten ihn engagiert, um gegen einen Prozentanteil an der Ausbeute wertvolles Material zu bergen.
Stefan grinste. »Das können wir uns jetzt leisten. Wir spielen bei den großen Jungs mit.«
Der Tunnel führte immer weiter und tiefer hinunter, während er immer niedriger wurde.
»Warum grabt ihr so tief unter dem Gebäude? Warum geht ihr nicht von der Seite rein?«
»Das Heron ist ein Wackler«, sagte Stefan. »Der Turm ist genau über dem sechsten Stock umgekippt. Und er ist nie in Brand geraten.«
Die Magie riss Gebäude auf unterschiedliche Arten ein. Manchmal brach die innere Struktur zusammen, und das Ganze implodierte in einer großen Staubfontäne. Doch meistens schwächte die Magie Teile des Gebäudes, worauf es teilweise einstürzte, bis das gesamte Ding seitlich umkippte. Wackler waren sehr wertvoll, vor allem, wenn sie nicht gebrannt hatten, weil alles, was sich unter der Erde befand, relativ unversehrt blieb.
»Wir haben versucht, in die Untergeschosse zu gelangen«, bestätigte Stefan meine Vermutung. »Da unten gibt es Feuerlöschsysteme und Heizungen, Generatoren, Fracht- und Personenaufzüge, was eine Menge Metall bedeutet. Und man kann nie wissen, manchmal findet man sogar Computerserver. Die seltsamsten Dinge haben den Einsturz eines Gebäudes überstanden. Da wären wir.«
Vor uns wurde der Tunnel breiter. Stefan legte einen Schalter um, und zwei Lampen an der Decke gingen an. Wir standen in einer runden Kammer mit etwa sieben Metern Durchmesser. Vier Leichen lagen auf dem Boden, zwei Männer und zwei Frauen. An der gegenüberliegenden Wand hing eine zwei Meter hohe Metallscheibe an einem Scharnier an der Wand, und dahinter begann ein runder Tunnel, der von Finsternis erfüllt war – ein offener Tresoreingang.
»Ein Tresor?«
Stefan verzog das Gesicht. »Er ist auf keinem Plan eingezeichnet und wurde in keinem der Dokumente erwähnt, die wir ausgewertet haben. Wir haben uns unbeschwert in die Tiefe gegraben und sind gestern Abend darauf gestoßen. Wir haben uns etwa eine Stunde lang mit der Tür abgemüht, hatten aber nicht das richtige Werkzeug dabei. Also postierte Raphael, bevor wir abzogen, zwei Wachen hier und zwei weitere am Eingang. Heute früh sollte ein Schlosser kommen und das Mistding aufmachen. Stattdessen haben wir das hier vorgefunden.«
Vier Leute, die tot im Dreck lagen. Gestern hatten sie noch ihre Familienangehörigen umarmt, bevor sie zur Arbeit gegangen waren. Sie hatten Pläne gemacht. An diesem Morgen war ich für sie verantwortlich. Das Leben war ein bösartiges Miststück.
»Gut, zeig mir das Protokoll.«
»Was?«
»Das Tatortprotokoll. In dem steht, wer alles zu welcher Zeit hier unten war.«
Stefan starrte mich verständnislos an. »Äh …«
Verdammt! Ich zog einen kleinen Notizblock und einen Stift aus einer Westentasche. »Weißt du was?«, sagte ich in freundlichem Tonfall. »Wir fangen jetzt damit an. So, ich bin die Erste.«
Ich trug oben auf der Seite das Datum ein und schrieb: »Andrea Nash. Anwesenheit: von 8.12 Uhr bis _____ Uhr. Grund: Ermittlung.« Dann unterschrieb ich und reichte Notizblock und Stift an Stefan weiter.
»Jetzt trägst du dich ein. Wenn Leute kommen, um die Leichen abzuholen, sagst du ihnen, dass auch sie sich eintragen sollen. Wir müssen protokollieren, wer hier unten kommt und geht.«
Ich stellte meine Tasche ab, öffnete sie, nahm Handschuhe heraus und zog sie an. Als Nächstes kamen die digitale Sofortbildkamera von Polaroid und ein Packen Papierumschläge für Fotos vom Tatort und Beweismaterial. Mit anderen Kameras ließen sich bessere Bilder machen, aber die Magie beschädigte digitale Daten. Manchmal erhielt man kristallklare Fotos in Hochauflösung und manchmal nur verschwommene graue Schlieren oder überhaupt nichts. Die Polaroid-Kamera produzierte die Fotos schneller als alles, was es auf dem Markt gab, und speicherte sie obendrein digital ab. Sie war das beste Mittel zur Aufzeichnung von Beweismaterial, das wir hatten.
»Wurden die Leichen bewegt?«
Stefan zuckte mit den Schultern. »Sylvia hat sie gefunden, den Puls geprüft, den Tresorraum untersucht, um sich zu überzeugen, dass sich dort niemand aufhält, und dann den Tunnel verlassen. Wir kennen das Prozedere.«
Wenn sie das Prozedere kennen würden, hätten sie an das Protokoll gedacht. »Wo ist Sylvia jetzt?«
»Bei Raphael, um sich von den Polizisten schikanieren zu
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