Geheime Melodie
Er ist ein Shi, genau wie der Mwangaza, deshalb ist es ganz natürlich, daß er den kommenden Mann in ihm sieht. Aber deshalb ist er noch lange nicht blind für die Schwächen des Mwangaza.«
Nat ürlich nicht, versichere ich ihr.
»Und kurz bevor der Bus losfuhr, in letzter Minute, ist er ganz überraschend zugestiegen und hat eine sehr bewegende Ansprache über die Chancen für Frieden und Eintracht in Kivu gehalten.«
»Für dich persönlich?«
»Ja, Salvo. Für mich persönlich. Von den sechsunddreißig Menschen im Bus hat er nur zu mir gesprochen. Und ich war splitterfasernackt.«
* * *
Ihr erster Einwand gegen den Streiter meiner Wahl, Lord Brinkley, war so absolut, da ß er mir ein wenig nach Schwester Imogènes Fundamentalismus roch.
»Aber Salvo. Wie kann das sein, daß von den bösen Menschen, die uns in den Krieg stürzen und unsere Bodenschätze rauben wollen, manche mehr Schuld haben sollen und manche weniger? Ist nicht einer so schlimm wie der andere? Stecken sie nicht alle unter einer Decke?«
»Du kannst Brinkley nicht mit den anderen in einen Topf werfen«, erklärte ich geduldig. »Er ist eine Galionsfigur, genau wie der Mwangaza. Er ist ein Mann, dessen Stellung die anderen ausnutzen, um hinter seinem Rücken ihre Räubereien zu begehen.«
»Er ist auch der Mann, der ja sagen konnte.«
»Ganz recht. Und er ist der Mann, dem man die Betroffenheit und die moralische Entrüstung anhören konnte, wenn du dich erinnerst. Und der Philip praktisch vorgeworfen hat, ein doppeltes Spiel zu treiben.« Und als Krönung: »Wenn er ja sagen konnte, dann kann er auch zum Telefonh örer greifen und nein sagen.«
Zur Untermauerung meines Standpunkts f ührte ich meine mannigfachen Erfahrungen aus der Welt der Wirtschaft an. Hatte ich nicht oft genug festgestellt, daß die Männer, die das Ruder in der Hand hielten, kaum mitbekamen, was in ihrem Namen geschah, so sehr waren sie damit beschäftigt, Kapital aufzutreiben und den Markt zu beobachten? Es dauerte ein wenig, aber schließlich sah Hannah doch ein, daß es Lebensbereiche gab, in denen ich mich einfach besser auskannte als sie. Ich legte nach, indem ich sie an mein Gespräch mit Brinkley in dem Haus am Berkeley Square erinnerte: »Und was war, als ich Mr. Anderson erwähnt habe? Er hatte noch nie von ihm gehört!« trumpfte ich auf, und dann wartete ich auf ihre Antwort, kein weiteres Plädoyer für Baptiste, wie ich inständig hoffte. Und zuletzt zeigte ich ihr auch noch den Brief, in dem er mir für meine Unterstützung dankte: Lieber Bruno, unterschrieben: Herzlich, Jack. Doch ganz gab sie sich noch immer nicht geschlagen:
»Wenn das Syndikat so anonym ist, wieso hat es dann Brinkley als Galionsfigur?« Und als ich darauf keine plausible Antwort parat hatte: »Wenn du unbedingt zu einem von deinen Leuten gehen mußt, geh wenigstens zu Mr. Anderson, dem du vertraust. Erzähl ihm alles und liefere dich ihm auf Gnade oder Ungnade aus.«
Diesmal man övrierte ich sie mit meinen Kenntnissen der Geheimdienstwelt aus. »Ich war noch nicht zur Tür hinaus, da kannte Anderson mich schon nicht mehr. Es gab die Operation nicht. Es gab mich nicht. Meinst du, er l äßt mich einfach wieder auferstehen, wenn ich bei ihm anmarschiere und ihm erzähle, daß die ganze Sache ein Riesenschwindel ist?«
Wir setzten uns vor meinen Laptop und machten uns an die Arbeit. Über Lord Brinkleys Adresse schwieg seine Website sich aus. Wenn man ihm schreiben wollte, sollte man ihm den Brief ins Oberhaus schicken. Jetzt konnte ich meine gesammelten Brinkley-Artikel zum Einsatz bringen. Jack war mit einer Lady Kitty verheiratet, einer reichen Erbin aus adligem Haus, die sich für Großbritanniens Bedürftige einsetzte, was Hannah sogleich für sie einnahm. Und Lady Kitty hatte ebenfalls eine Website. Darauf standen die Wohltätigkeitsorganisationen, deren Schirmherrin sie war, sowie eine Adresse, an die man seine Spendenschecks schicken konnte. Außerdem erfuhren wir, daß Lady Kitty jeden Donnerstagvormittag ausgewählte Wohltäter zum Kaffee empfing. Und wo empfing Ihro Gnaden? In ihrer Residenz in Knightsbridge, im Herzen von Londons goldenem Dreieck.
* * *
Es ist eine Stunde sp äter. Ich liege hellwach im Bett. Hannah, die es gelernt hat, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu schlafen, rührt sich nicht. Leise ziehe ich Hemd und Hose an, nehme mir das Handy und gehe nach unten in den Aufenthaltsraum, wo Mrs. Hakim das Frühstücksgeschirr abräumt. Nach ein paar
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