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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Busch in der Hampsteader Heide legen, wenn nicht, um für sich zu sein?
    Dann pl ötzlich merke ich, daß sie nicht nur die Hand des Patienten hält, sondern meine gleich mit. Und Grace merkt es auch und ist beeindruckt, aber nicht auf voyeuristische Weise, denn Grace weiß genau wie ich, daß ihre Freundin Hannah keine Frau ist, die mit dem erstbesten Dolmetscher Händchen hält. Da liegen sie beide, meine rehbraune halbkongolesische Hand und Hannahs richtig schwarze mit der rosaweißen Handfläche, ineinander verschlungen auf dem Bett eines Ruanders und Feinds. Und das hat nichts mit Sex zu tun – wie sollte es, zwischen uns stirbt ein Mensch –, sondern mit Verbundenheit und gegenseitiger Tröstung, während wir uns um unseren gemeinsamen Patienten bemühen.
    Weil ihr dies alles nicht weniger unter die Haut geht als mir. Der Anblick dieses armen sterbenden Mannes ber ührt sie, auch wenn sie den ganzen Tag, jeden Tag in der Woche, solche Männer sieht. Es berührt sie, wie wir uns unseres erklärten Feindes annehmen, ihn lieben im Geiste des Evangeliums, von dem ihr Goldkreuz spricht. Und meine Stimme berührt sie. Sooft ich vom Swahili ins Kinyarwanda übersetze und umgekehrt, senkt sie ergriffen die Lider. Ergriffen, weil wir – und mit jedem meiner Blicke sage ich es ihr neu – die Menschen sind, nach denen wir unser Leben lang gesucht haben.
    * * *
    Nicht da ß wir uns von da an bei den Händen hielten – wie auch? –, aber wir behielten einander innerlich im Blick. Ob sie mir ihren langen Rücken kehrte, sich über den Patienten beugte, ihn anhob, seine Wange streichelte oder die Geräte überprüfte, an die Grace ihn angeschlossen hatte: sooft sie sich zwischendurch zu mir wandte, war ich für sie da und sie für mich. Und alles, was dann folgte – daß ich draußen vor den neonbeleuchteten Torpfosten auf das Ende ihrer Schicht wartete und sie mit niedergeschlagenen Augen zu mir herauskam und wir uns als gute, schüchterne Missionskinder nicht umarmten, sondern nur Hand in Hand wie zwei ernsthafte Studenten den H ügel zu ihrem Schwesternheim hinaufstiegen, durch eine enge Gasse, in der es nach asiatischem Essen roch, zu einer mit einem Vorhängeschloß gesicherten Tür, die sie mit ihrem Schlüssel aufschloß –, alles das war getragen von den Blicken, die wir am Bett unseres sterbenden ruandischen Patienten gewechselt hatten, und der Verantwortung, die wir füreinander gespürt hatten angesichts dieses Lebens, das hier vor unseren Augen zu Ende ging.
    Weshalb wir, wenn wir uns nicht gerade liebten, Gespr äche einer Art führen konnten, wie ich sie seit dem Tod von Pater Michael nicht mehr gekannt hatte – mein einziger Vertrauter in all den Jahren war Mr. Anderson gewesen: keine rechte Konkurrenz für eine schöne, lachende, verlangende afrikanische Frau, deren Solidarität allein den Leidenden dieser Welt gilt und die nichts von einem fordert, in keiner Sprache, das man nicht liebend gern gibt. Die Fakten unseres Lebens übermittelten wir einander auf Englisch. Für die Liebe sprachen wir französisch. Und für unsere Träume von Afrika, was taugte da besser als das kongolesisch gefärbte Swahili unserer Kindheit mit seinem spielerischen Gemisch aus Frohsinn und Hintersinn? Innerhalb von zwanzig schlaflosen Stunden war Hannah zu der Schwester, Geliebten und Vertrauten geworden, die mir in den langen Wanderjahren meiner Jugend so hartnäckig versagt geblieben war.
    Haben wir über Schuld gesprochen – wir zwei braven Christenkinder, zur Gottesfurcht erzogen und nun auf einmal Ehebrecher vor dem Herrn? Keine Sekunde lang. Wir sprachen über meine Ehe, und ich erklärte sie, mit ganz neuer Gewißheit, für tot. Wir sprachen von Hannahs kleinem Sohn Noah, den sie bei ihrer Tante in Uganda gelassen hatte, und wünschten ihn beide herbei. Wir legten feierliche Schwüre ab und diskutierten über Politik und verglichen Erinnerungen und tranken Preiselbeersaft mit Sprudel und ließen uns Pizza kommen und liebten uns bis zum letzten Moment, bevor sie widerstrebend ihre Schwesterntracht anzieht, meinen Bitten um eine allerletzte Umarmung widersteht und den Hügel hinunter zum Krankenhaus eilt, zu dem Anästhesie-Kurs, den sie belegt hat, und dann zur Nachtwache bei ihren sterbenden Patienten, während ich mich hektisch nach einem Taxi umsehe, weil die U-Bahn seit den Terroranschlägen bestenfalls sporadisch verkehrt und der Bus zu lange braucht und die Zeit, um es gelinde zu sagen, drängt. Aber ihre

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