Geheime Melodie
Abschiedsworte klingen mir immer noch im Ohr. »Salvo« – auf Swahili, die Hände um meine Schläfen gelegt und in beglücktem Staunen den Kopf schüttelnd –, »als deine Mutter und dein Vater dich gezeugt haben, da muß ihre Liebe sehr groß gewesen sein.«
3
St ört es Sie, wenn ich das Fenster aufmache?« rief ich Fred zu, meinem weißen Chauffeur.
Der Mondeo schl ängelte sich geübt durch den dichten Freitagabendverkehr, und ich, in seine Polster zurückgelehnt, durchlebte Befreiungsgefühle, die schon fast an Euphorie grenzten.
»Kein Thema, Mann«, erwiderte er markig, aber mein geschärftes Ohr hörte unter dem kumpelhaften Ton einen Hauch von Public-School-Akzent heraus. Fred war in meinem Alter und ein furioser Fahrer. Ich mochte ihn jetzt schon. Die Scheibe glitt hinunter, und warme Nachtluft strömte mir entgegen.
»Haben Sie eine Ahnung, wo’s hingeht, Fred?«
»South Audley Street, unteres Ende.« Und in der Annahme, meine Besorgnis gelte seinem Fahrstil, was nicht der Fall war: »Keine Sorge, ich liefere Sie heil ab.«
In Sorge war ich nicht, aber doch leicht verunsichert. Meine Begegnungen mit Mr. Anderson hatten sich bislang alle im Hauptquartier seines Ministeriums in Whitehall abgespielt, in einem mit üppigen Teppichen ausgelegten Verlies am Ende eines Labyrinths von grüngestrichenen Backsteinkorridoren, in denen käsige Hausmeister mit Walkie-Talkies patrouillierten. Getönte Photographien von Mr. Andersons Frau, Töchtern und Spaniels hingen an den Wänden, im Wechsel mit goldgerahmten Urkunden, die er mit seiner anderen großen Liebe errungen hatte, der Chorgemeinschaft Sevenoaks. Zwischen ebendiesen vier W änden hatte er mir seinerzeit nach einer Reihe von »Testinterviews« durch ein geheimnisvolles »Sprachprüfungskomitee«, zu denen ich durch ein streng vertrauliches Schreiben bestellt worden war, die beeindruckende Vielfalt der Strafen enthüllt, die auf den Verrat von Staatsgeheimnissen standen. Es war eine Predigt, die er schon hundertmal gehalten haben mußte, und im Anschluß präsentierte er mir ein gedrucktes Formular, auf dem mein Name sowie Geburtsdatum und Geburtsort bereits per Computer eingetragen waren, und nahm mich, während ich unterschrieb, über seine Lesebrille hinweg nochmals gesondert ins Gebet.
»Daß Sie mir aber nicht übermütig werden, mein Junge«, ermahnte er mich in einem Ton, der mich unwiderstehlich an Pater Michael erinnerte. »Sie sind ein schlaues Bürschchen, der spitzeste Bleistift im Kästchen, wenn alles, was mir berichtet wird, stimmt. Sie beherrschen einen Haufen ulkiger Sprachen aus dem Effeff und haben einen exzellenten Ruf, den ein Dienst von unserem Format nicht so einfach übergehen kann.«
Ich wu ßte nicht genau, auf welchen Dienst welchen Formats er anspielte, aber er hatte mir bereits mitgeteilt, daß er ein hochrangiger Beamter der Krone sei und daß mir das zu genügen habe. Und ich fragte ihn auch nicht, welche meiner Sprachen er denn als ulkig betrachtete, wozu ich mich vielleicht hätte hinreißen lassen, wenn ich nicht in anderen Sphären geschwebt hätte – denn vereinzelt kommt selbst mir die Ehrerbietigkeit abhanden.
»Das macht Sie allerdings nicht zum Nabel der Welt, also bilden Sie sich das gütigst auch nicht ein«, fuhr er fort, immer noch in bezug auf meine Qualifikationen. »Sie werden ein TA sein, also ein Teilzeitassistent, und niedriger geht’s nicht. Sie gehören zur Truppe, aber Sie spielen im kleinen Haus, und da werden Sie bleiben, es sei denn, Sie bekommen ein Festengagement. Was nicht heißen soll, daß in den kleinen Häusern nicht oft die besten Aufführungen stattfinden, denn das tun sie. Bessere Stücke und bessere Schauspieler, sagt meine Frau Mary, und die muß es wissen. Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will, Salvo?«
»Ich glaube schon, Sir.«
Ich sage zu oft »Sir«, und das weiß ich auch, genau wie ich als Kind zu oft Mzee gesagt habe. Aber im Herz-Jesu-Heim war jeder, der kein Pater war, ein Sir.
»Dann wiederholen Sie mir doch bitte, was ich Ihnen gerade gesagt habe, damit wir beide ganz klarsehen«, schlug er vor – genau die Taktik, derer sich später auch Hannah bediente, um Jean-Pierre ihre Hiobsbotschaft beizubringen.
»Ich soll auf dem Boden bleiben. Nicht zu …«, fast hätte ich »enthusiastisch« gesagt, aber ich bremste mich gerade noch rechtzeitig, »… nicht übereifrig werden.«
»Sie sollen dieses Glühen aus Ihrem Auge verbannen, mein Junge. Von nun an und
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