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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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eine ungemein kostbare Substanz, die früher ausschließlich im Ostkongo gewonnen wurde, man frage nur meine im Rohstoffhandel tätigen Klienten. Wer die Dummheit begeht, sein Handy auseinanderzunehmen, der findet unter den Innereien ein allentscheidendes Körnchen davon. Die Vereinigten Staaten hatten jahrzehntelang strategische Coltanvorräte auf Halde liegen, wie meine Klienten auf schmerzhafte Weise erfahren mußten, als das Pentagon es tonnenweise auf den Weltmarkt warf.
    Warum hat Coltan in meinem Kopf au ßerdem noch einen Ehrenplatz inne? Schnitt zurück zu Weihnachten 2000. Bei der Play Station 2, dem unverzichtbaren elektronischen Spielzeug für jedes reiche britische Gör, treten unerhörte Lieferengpässe auf. Mittelschichtseltern sind dem Nervenzusammenbruch nahe, und Penelope auf der Titelseite ihrer großen Zeitung ebenfalls: Wir klagen an : Schande über die Weihnachtsverderber ! Doch ihr Zorn richtet sich an die falsche Adresse. Der Engpaß ist nicht durch die Inkompetenz der Hersteller verschuldet, sondern durch eine Welle von Mord und Totschlag, die über den Ostkongo hereingebrochen ist und als eine ihrer Nebenwirkungen den Nachschub an Coltan kurzfristig zum Erliegen gebracht hat.
    Wu ßtest du, daß der Mwangaza Professor für kongolesische Geschichte ist, Salvo? Unsere Geschichte. Er kennt unseren Alptraum bis ins kleinste Detail. Er weiß, wer durch wen umgebracht worden ist, in welcher Anzahl, an welchem Tag, und er hat keine Angst vor der Wahrheit wie so viele von unseren Kleinmütigen.
    Und ich bin einer von den Kleinm ütigen, aber an diesem nackten grünen Tisch, an dem ich sitze, kann ich mich nirgends verstecken. In welche Gefilde sich der Mwangaza auch vorwagt, ich muß ihm folgen, ohne auch nur eines seiner Worte ausblenden zu können. Noch vor zwei Minuten hat er über Produktionszahlen gesprochen. Jetzt redet er über Völkermord, und auch hier hat er seine Zahlen parat: die der dem Erdboden gleichgemachten Dörfer, die der gekreuzigten oder in Stücke gehackten Dorfbewohner, der auf Verdacht verbrannten Hexen, der Massenvergewaltigungen – das ganze endlose Hin und Her des mörderischen Gemetzels im Ostkongo, das von außen noch geschürt wird, während die internationale Gemeinschaft zetert und ich den Fernseher ausschalte, falls Penelope mir nicht schon zuvorgekommen ist. Und das Sterben geht weiter, jetzt in diesem Moment, während der Mwangaza spricht und ich übersetze. Mit jedem Monat, der verstreicht, sterben achtunddreißigtausend Kongolesen durch die Verheerungen dieser vergessenen Kriege:
    »Eintausendzweihundert Tote pro Tag, meine Freunde, sieben Tage die Woche. Heute genauso wie morgen und übermorgen und an jedem Tag, der da kommt.«
    Ich werfe einen Blick zu meinen Delegierten hin über. Sie haben Armesündermienen aufgesetzt. Vielleicht sind ausnahmsweise sie und nicht ich es, die auf Autopilot geschaltet haben. Wer vermag zu sagen, was sie denken, so sie sich überhaupt zum Denken bequemen? Da sitzen sie: drei Afrikaner in der Mittagshitze am Straßenrand, und niemand auf dieser Welt, möglicherweise nicht einmal sie selbst, weiß, was in ihren Köpfen vorgeht. Aber warum behelligt uns der Mwangaza mit solchem Zeug, wo doch die Zeit so knapp ist? Um uns fertigzumachen? Keineswegs. Mut machen will er uns!
    »Darum haben wir ein Anrecht, meine Freunde! Wir haben doppelt und dreifach Anspruch! Keine andere Nation mußte solche Heimsuchungen erdulden wie unser geliebtes Kivu. Keine andere Nation braucht die Wiedergeburt so dringend! Keine andere Nation hat ein größeres Recht, ihren Reichtum mit beiden Händen zu ergreifen und ihn seinen Leidenden und Schwachen zu Füßen zu legen und zu sagen: ›Das hier gehört nicht mehr den anderen. Das hier, mein armes Volk – nous misérables de Kivu! –, gehört uns!‹«
    Seine gebieterische Stimme k önnte die Royal Albert Hall ausfüllen, aber die Frage in unser aller Herzen ist klar genug: Wenn Kivus Reichtümer in die falschen Hände gefallen sind und die Ungerechtigkeiten der Geschichte uns einen Anspruch darauf verleihen, sie uns zurückzuholen, und wenn Kinshasa ein geknicktes Rohr ist und alles aus Kivu ohnehin nach Osten exportiert wird – was bitte schön gedenken wir zu tun?
    »Seht sie euch an, meine Freunde, die großen Politiker und Beschützer unserer Nation, und was erblickt ihr? Neue Wege? O ja – ganz neue Wege, unbedingt. Noch nie beschrittene Wege, genauer gesagt. Und die passenden neuen Parteien

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