Geheime Melodie
gleich dazu. Mit höchst poetischen Namen« – des noms très poétiques. » Es gibt so viel neue Demokratie in dieser Hurenstadt Kinshasa« – cette ville de putains! –, »daß ich mich in meinen alten Schuhen schon kaum mehr auf den Boulevard des 30. Juni traue! So viele neue Rednertribünen, auf eure Kosten aus edelsten Hölzern erbaut. So viele prächtig gedruckte zwanzigseitige Manifeste, die bis spätestens Mitternacht nächste Woche Frieden, Wohlstand, medizinische Versorgung und Bildung für alle versprechen. So viele neue Gesetze gegen die Korruption, daß man sich fragt, wer wohl bestochen worden ist, sie alle zu entwerfen.«
Das Gel ächter wird angestimmt von dem glatthäutigen Delphin und dem narbengesichtigen Tabizi, und Philip und Maxie fallen ein. Der Lichtbringer wartet streng, bis es wieder verstummt ist. Worauf will er hinaus? Weiß er es selbst? Bei Père André gab es nie einen festen Kurs. Der Mwangaza, auch wenn es mir nur langsam dämmert, steuert genau nach Plan.
»Aber, meine Freunde, seht sie euch noch einmal näher an, unsere nagelneuen Politiker. Biegt die Krempen ihrer Hüte hoch. Laßt ein paar Strahlen von unserer guten afrikanischen Sonne in ihre HunderttausendDollar-Mercedeslimousinen scheinen, und sagt mir,
was ihr seht. Neue Gesichter voller Optimismus? Aufgeweckte junge Hochschulabsolventen, die darauf brennen, ihre Kr äfte in den Dienst unserer Republik zu stellen? O nein, meine Freunde, weit gefehlt. Ihr seht genau dieselben altbekannten Gesichter derselben altbekannten Gauner wie zuvor!«
Was hat Kinshasa jemals f ür Kivu getan, will er wissen. Antwort: nichts. Wo bleibt der Frieden, den Kinshasa predigt, der Wohlstand, die Harmonie? Wo die allumfassende Liebe zu Land, Nachbarn, Gemeinschaft? Er ist durch ganz Kivu gereist, vom Norden bis in den Süden, und hat nicht die kleinste Spur davon entdecken können. Er hat dem Wehklagen der Menschen gelauscht: Ja, wir wollen den Pfad der Mitte, Mwangaza! Wir beten dafür! Wir singen dafür! Wir tanzen dafür! Aber wie, o wie, sollen wir ihn erlangen? Ja, wie? Er ahmt ihr jammervolles Fragen nach. Ich ahme den Mwangaza nach. »Wer wird uns verteidigen, wenn unsere Feinde ihre Truppen gegen uns aussenden, Mwangaza? Du bist ein Mann des Friedens, Mwangaza! Du bist nicht mehr der große Krieger, der du einmal warst. Wer schafft Ordnung bei uns und kämpft an unserer Seite und hilft uns, unsere Kräfte zu vereinen?«
Bin ich wirklich der letzte im Raum, der begreift, da ß die Antwort auf diese inniglichen Gebete sich am Kopfende des Tisches lümmelt, die Füße in den abgestoßenen Wüstenstiefeln lässig vor sich ausgestreckt? Anscheinend ja, denn die nächsten Worte des Mwangaza reißen mich so abrupt aus meinen Träumen, daß Haj, der alte Komiker, sich mit großer Geste zu mir umdreht und Stielaugen macht.
»Kein Name, meine Freunde?« schleudert der Mwangaza uns entrüstet entgegen. »Dieses seltsame Syndikat, das uns heute hierhergeschleppt hat, hat keinen Namen? Oh, das ist schlimm! Wo mag er ihnen hingeraten sein? Das ist alles höchst verdächtig und mysteriös! Vielleicht sollten wir alle unsere Brillen aufsetzen und ihnen beim Suchen helfen! Warum in aller Welt sollten ehrbare Leute ihren Namen geheimhalten? Was haben sie zu verbergen? Warum rücken sie nicht einfach mit der Sprache heraus und sagen, wer sie sind und was sie wollen?«
Tief ansetzen, P ère André. Tief, und mit langem Atem. Der Spannungsbogen muß tragen. Aber der Mwangaza ist ein alter Hase.
»Ja, meine lieben Freunde«, gesteht er in einem müden Ton, bei dem man ihm am liebsten über die Kreuzung helfen möchte. »Ich habe lange und intensiv mit diesen namenlosen Herren gesprochen, das könnt ihr mir glauben.« Er zeigt auf Philip, ohne in seine Richtung zu sehen. »O ja. Wir haben viele zähe Verhandlungen geführt. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang, möchte ich sagen. Harte Verhandlungen, o ja, und so muß es auch sein. Sagen Sie uns, was Sie wollen, Mwangaza, haben die Namenlosen zu mir gesagt. Sagen Sie es uns bitte ohne Schnörkel oder Ausflüchte. Und dann sagen wir Ihnen, was wir wollen. Und dann wird sich zeigen, ob wir ins Geschäft kommen oder ob wir uns die Hand geben und sagen, tut uns leid und auf Wiedersehen, wie es bei Geschäftsverhandlungen üblich ist. Also habe ich es ihnen mit gleicher Münze vergolten« – er spielt geistesabwesend an seinem gol denen Sklavenhalsband herum, eine kleine Erinnerung, da ß er nicht
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