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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Ressentiments auslösen. Je mehr die Zuhörer sich haben mitreißen lassen, desto heftiger stemmen sie hinterher die Fersen ein. Der zappelige Haj hat mit dem Zappeln aufgehört und begnügt sich mit einer Folge von Grimassen. Der zaund ürre Dieudonné drückt sich in meditativer Versunkenheit die Fingerspitzen an die Stirn. Schweißtröpfchen haben sich an den Rändern seines Bartes gebildet. Franco neben ihm betrachtet konzentriert etwas auf seinem Schoß, einen Fetisch, argwöhne ich.
    Philip bricht den Bann. »Gut, wer gibt uns die Ehre und macht den Anfang?« Dazu ein vielsagender Blick auf die Bahnhofsuhr, denn die Zeit, wie wir nur zu gut wissen, ist begrenzt.
    Aller Augen richten sich auf Franco, unseren Alterspr äsidenten. Er stiert finster auf seine großen Pranken. Er hebt den Kopf.
    »Als es mit Mobutus Macht zu Ende ging, standen die Mai Mai mit pangas, Pfeilen und Lanzen bereit, um unser geheiligtes Territorium zu beschützen«, verkündet er in stockendem Swahili. Kampflustig blickt er in die Runde, falls jemand Widerspruch wagen sollte. Von niemandem ein Mucks. Er fährt fort. »Die Mai Mai haben gesehen, was war. Nun werden wir sehen, was kommt. Gott wird uns beschützen.«
    Der n ächste in der Rangfolge ist Dieudonné.
    »Damit die Banyamulenge überleben können, müssen wir Föderalisten werden«, erklärt er, direkt an seinen Nachbarn Franco gewandt. »Wenn ihr uns unsere Rinder stehlt, sterben wir. Wenn ihr unsere Schafe tötet, sterben wir. Wenn ihr uns unsere Frauen raubt, sterben wir. Wenn ihr uns unser Land nehmt, sterben wir. Warum kann das Hochland, auf dem wir leben und unsere Felder bestellen und mit unserem Gott sprechen, nicht uns gehören? Warum können wir nicht die Hoheit über unser eigenes Gebiet haben? Warum mu ß unser Leben der Anführerschaft weit entfernter Stämme unterstehen, die uns unseren Status verweigern und ihrem Willen unterwerfen?« Er wendet sich an den Mwangaza. »Die Banyamulenge glauben genauso an den Frieden wie du. Aber niemals werden wir unser Land aufgeben.«
    Die Augen des Mwangaza bleiben geschlossen, dieweil der glatte Delphin sich der implizierten Frage annimmt.
    »Der Mwangaza ist ebenfalls Föderalist«, sagt er sanft. »Der Mwangaza besteht nicht auf Integration. Die Verfassung, so wie er sie vorschlägt, wird die Stammessouveränität der Banyamulenge und ihre Ansprüche auf ihr Land in aller Form anerkennen.«
    »Und das Mulenge-Hochland wird zum autonomen Gebiet erklärt werden?«
    »Ja, das wird es.«
    »In der Vergangenheit hat Kinshasa uns dieses gerechte Gesetz verweigert.«
    »Der Mwangaza ist ein Mann der Zukunft, nicht der Vergangenheit. Ihr werdet euer gerechtes Gesetz erhalten«, erwidert der treue Delphin, worauf der alte Franco einen Laut ausstößt, der wie ein Hohnschnauben klingt, aber vielleicht räuspert er sich auch nur. Im selben Augenblick schnellt Haj, einem zeitverzögerten Springteufel gleich, in seinem Stuhl hoch und glupscht mit wildem Blick in die Runde.
    »Wir reden also von einem Coup, sehe ich das richtig?« sagt er in dem schrillen, herrischen Französisch eines Pariser Intellektuellen. »Frieden, Wohlstand, Gleichberechtigung. Aber wenn wir das Gesülze weglassen,
    hei ßt das schlicht Machtergreifung. Heute Bukavu, morgen Goma, Ruander raus, scheiß auf die UNO, und Kinshasa kann uns am Arsch lecken.«
    Ein verdeckter Blick auf die Versammelten best ätigt meinen Verdacht: Unsere Konferenz hat einen Kulturschock erlitten. Als wären die Kirchenältesten zu einem feierlichen Konklave zusammengekommen, und plötzlich schlendert dieser aufgeputzte Ketzer von der Straße herein und will wissen, worüber die alten Knacker da schwafeln.
    »Ich meine, ist das nicht ein bißchen viel des Guten?« will Haj wissen und breitet theatralisch die Handflächen aus. »Goma hat Probleme, fragen Sie meinen Vater. Goma hat die Ware, die Ruander haben die Kohle und die Kontakte. Unschön. Aber Bukavu ist nicht Goma. Seit letztes Jahr die Soldaten gemeutert haben, ziehen die Ruander in Bukavu die Schwänze ein. Und unsere Stadtverwaltung haßt die Ruander wie kaum jemand sonst.« Er wirft die Hände hoch, Handflächen nach oben gekehrt in einer gallischen Geste der Resignation. »Ich frage ja bloß.«
    Aber er fragt nicht den Mwangaza, er fragt mich. Seine Glupschaugen m ögen den Tisch entlangwandern oder respektvoll auf dem großen Manne verweilen, aber kaum beginne ich mit dem Übersetzen, kehrt sein Blick zurück zu mir und bleibt

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