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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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qualmenden Stäbchen, von denen ein herber Moschusgeruch ausging. Ein Kind mit riesigen hellen Augen starrte ausdruckslos durch die Ritzen einer Jalousie nach draußen.
    Ein Mann, der auf roten, mit Goldfäden durchwirkten Kissen hockte, spielte auf einem mir damals noch fremden Instrument, einem langen schwarzen Stock mit glänzenden Ringen und Tasten – einer Klarinette. Für mich war es eine Schlange. Sie machte Musik, als die Finger des Mannes über sie hinwegglitten: Musik, die ich nicht einordnen konnte, die mir leichtes Unbehagen verursachte und die irgendwie intime, gefährliche Dinge zu beschreiben schien. Der Mann spielte Jazz, und bevor das Jahrzehnt zu Ende ging, sollte ich davon noch viel mehr zu hören bekommen.

    Entlang der Gasse standen Tische, an denen Männer saßen und lasen, sich unterhielten oder heftig diskutierten. Sie tranken Kaffee und Getränke in merkwürdigen Farben – wahrscheinlich Schnaps – aus ungewöhnlichen Flaschen. Als wir vorbeigingen, blickten sie auf, ob interessiert oder nicht, war schwer zu beurteilen. Ich bemühte mich, sie nicht anzusehen; im Stillen wünschte ich, Hannah würde es sich anders überlegen, umkehren und uns ins Licht und in die Sicherheit zurückführen. Aber während mir unangenehmer, fremdartiger Geruch in die Nase drang und fremde Musik in den Ohren klang, schien Hannah zu schweben. Sie war von ganz anderen Dingen fasziniert. An den Häuserwänden hingen Bilder, aber nicht solche wie in Riverton. Es waren Kohlezeichnungen: menschliche Gesichter, Gliedmaßen und Augen, die uns von den Wänden her anstarrten.
    Hannah blieb vor einem Bild stehen. Es war riesig, und es war das Einzige, auf dem eine vollständige Person dargestellt war, eine Frau, die auf einem Stuhl saß. Nicht auf einem Lehnstuhl, einer Chaiselongue oder einem Sofa des Künstlers, sondern auf einem einfachen Holzstuhl mit klobigen Beinen. Sie saß breitbeinig da, eine Frontalansicht. Sie war nackt, und sie war schwarz, prachtvoll in Kohle gezeichnet. Ihr Gesicht war dem Betrachter zugewandt. Große Augen, hohe Wangenknochen, geöffnete Lippen. Ihr Haar war zu einem Nackenknoten gebunden. Sie sah aus wie eine Kriegerkönigin.
    Ich war schockiert von dem Bild und erwartete, dass Hannah ähnlich reagieren würde. Aber offensichtlich empfand sie etwas anderes, denn sie berührte das Bild und zog mit geneigtem Kopf die Linie der Wange nach.
    Plötzlich stand ein Mann neben ihr. »Schönes Bild«, sagte er mit schwerem Akzent und noch schwereren
Augenlidern. Es gefiel mir nicht, wie er Hannah ansah. Er wusste, dass sie Geld hatte. Er sah es an ihrer Kleidung.
    Hannah blinzelte, wie von einem Bann erlöst. »Ja«, erwiderte sie leise.
    »Möchten Sie es vielleicht kaufen?«
    An der Art, wie sie die Lippen zusammenpresste, sah ich, dass sie nachdachte. Trotz seiner erklärten Liebe zur Kunst würde Teddy das Bild nicht billigen. Irgendetwas an der Frau, an dem Bild, war gefährlich. Subversiv. Und doch wollte sie es haben. Es erinnerte sie an die Vergangenheit. An das SPIEL. An Nofretete. Eine Rolle, die sie mit der unschuldigen Inbrunst der Kindheit gespielt hatte. Sie nickte. O ja, sie wollte es haben.
    Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Das Gesicht des Mannes blieb ausdruckslos. Er rief nach jemandem. Als keine Antwort kam, bedeutete er Hannah, ihm zu folgen. Anscheinend hatten die beiden mich ganz vergessen, aber ich blieb dicht hinter Hannah, als sie dem Mann zu einer kleinen, roten Tür folgte. Der Mann schob die Tür auf. Wir betraten ein Maleratelier, das allerdings kaum mehr war als ein dunkles Loch in der Mauer. Die Wände waren wohl einmal grün gewesen, die Tapete hing in langen Streifen herunter. Der Boden – zumindest das, was ich davon unter den Hunderten mit Kohlestift bemalten Blättern entdecken konnte –, war aus Stein. In einer Ecke lag eine Matratze mit ausgeblichenen Kissen und einer Flickendecke; leere Schnapsflaschen waren davor aufgereiht.
    Auf einem Hocker saß die Frau, die auf dem Bild zu sehen war. Zu meinem Entsetzen war sie vollkommen nackt. Neugier flackerte kurz in ihrem Blick auf, doch sie sagte nichts. Als sie aufstand und an den Tisch trat, sah ich, dass sie größer war als wir, selbst größer als der
Mann. Etwas an ihren Bewegungen verunsicherte mich zutiefst, etwas, das Freiheit ausdrückte, völlige Gleichgültigkeit gegenüber unseren Blicken, gegenüber der Tatsache, dass wir sie anschauten und ihre riesigen Brüste sehen konnten, die eine größer

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