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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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seiner kürzlich angetrauten Ehefrau, Mrs Hannah Hartford, der ältesten Tochter Lord Ashburys.
    Mr T. Luxton und die ehrenwerte Mrs H. Hartford haben im nahe dem Dorf Saffron Green gelegenen Familiensitz der Braut, Riverton Manor, geheiratet und befinden sich zurzeit auf Hochzeitsreise in Frankreich. Nach ihrer Rückkehr im nächsten Monat werden sie in die Villa Haberdeen einziehen, die in Villa Luxton umbenannt wird.
    Mr T. Luxton ist Kandidat der Torys für den Wahlbezirk Marsden in East London. Der Parlamentssitz wird bei einer Nachwahl im November vergeben.

Schmetterlinge fangen
    I n einem Minibus wurden wir zur Frühjahrskirmes gefahren. Unsere kleine Gruppe besteht aus acht Personen: sechs Heimbewohner, Sylvia und eine Krankenschwester, deren Name mir nicht mehr einfällt – eine junge Frau mit einem dünnen Zopf im Nacken, der ihr bis zum Gürtel reicht. Wahrscheinlich glauben die Schwestern, ein Tag an der frischen Luft täte uns gut. Was man allerdings davon haben soll, den ganzen Tag anstatt in einer gemütlichen Umgebung auf einem schlammigen Platz zu verbringen, wo man an Buden und Ständen Kuchen, Spielzeug und Seife kaufen kann, ist mir nicht so recht klar. Ich wäre lieber zu Hause geblieben, weit weg von all dem Trubel.
    Hinter dem Rathaus hat man wie jedes Jahr eine provisorische Bühne errichtet und davor einige Reihen mit weißen Plastikstühlen aufgestellt. Meine Mitbewohnerinnen und das Mädchen mit dem Zopf sitzen vor der Bühne und sehen einem Mann zu, der mit Ziffern versehene Pingpongbälle aus einem Metalleimer holt. Ich ziehe es vor, am Ehrenmal auf der kleinen eisernen Bank zu sitzen. Heute fühle ich mich nicht so gut, was sicherlich an der Hitze liegt. Als ich aufwachte, war mein Kissen nass geschwitzt, und schon den ganzen Tag fühle ich mich seltsam benebelt. Meine Gedanken schwimmen.
Sie tauchen unerwartet auf, nehmen Gestalt an, aber ehe ich sie erhaschen kann, entgleiten sie mir wieder. Als wollte ich einen Schmetterling fangen. Der Zustand ist mir unangenehm und macht mich gereizt.
    Eine Tasse Tee wird mir guttun.
    Wohin ist Sylvia gegangen? Hat sie es mir gesagt? Vor wenigen Augenblicken war sie noch hier und wollte eine Zigarette rauchen. Sie hat mir von ihrem Freund erzählt und von ihren Plänen berichtet, mit ihm zusammenzuziehen. Früher hätte ich eine wilde Ehe als unschicklich betrachtet, aber mit der Zeit ändert man seine Ansichten zu den meisten Dingen.
    Meine Füße werden von der Sonne gebraten. Ich könnte sie in den Schatten schieben, aber irgendein masochistischer Tick bringt mich dazu, sie an Ort und Stelle zu lassen. Sylvia wird die roten Flecken später sehen und daran ablesen können, wie lange sie mich allein gelassen hat.
    Von meinem Platz aus blicke ich auf den Friedhof. Die östliche Seite mit den Pappeln, deren junge Blätter schon beim leisesten Windhauch erzittern. Jenseits der Pappeln, auf der anderen Seite des Hügels, befinden sich die Grabsteine, unter anderem der meiner Mutter.
    Es ist eine Ewigkeit her, dass wir sie begraben haben. Ein winterlicher Tag im Jahre 1922, als die Erde hart gefroren war, der eisige Wind mir die Röcke um die dicken Strümpfe wehte und ein Mann, weit entfernt und daher kaum zu erkennen, auf dem Hügel stand. Sie hat ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen, in die steinhart gefrorene Erde, aber irgendwann habe ich sie doch erfahren. Ich kenne mich aus mit Geheimnissen, denn ich hatte mein Leben lang welche. Vielleicht hatte ich immer gehofft, meine eigenen umso besser verstecken zu können, je mehr ich über die Natur der Geheimnisse wüsste.

    Mir ist heiß. Es ist viel zu heiß für April. Daran ist bestimmt die globale Erwärmung schuld. Globale Erwärmung, schmelzende Polkappen, das Ozonloch, gentechnisch veränderte Lebensmittel. Die Welt ist ein feindseliger Ort geworden. Selbst das Regenwasser ist heutzutage nicht mehr harmlos. Es nagt sogar am Kriegerdenkmal. Eine Seite des Gesichts des steinernen Soldaten ist zerstört, die Wange pockennarbig, die Nase von der Zeit zerfressen. Wie ein Stück Obst, das zu lange in einem Abwasserkanal gelegen hat und von Vögeln angeknabbert wurde.
    Aber der Soldat kennt seine Pflicht. Trotz seiner Wunden steht er seit achtzig Jahren auf seinem Sockel stramm, betrachtet die Ebene jenseits der Stadt, den leeren Blick über die Bridge Street hinweg auf das Parkhaus des neuen Einkaufszentrums gerichtet; ein Land, wie gemacht für Helden. Er ist fast so alt wie ich. Ob er auch so

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