Geheime Spiel
Sanktionen sollten zu Verbitterung und Teilung führen, die wiederum den nächsten Weltkrieg auslösen würden, aber davon wussten die Menschen in England nichts. Zumindest damals noch nicht. Sie waren einfach nur froh, dass der Südwind die Schlachtgeräusche nicht
länger über den Kanal trug. Und dass nicht noch mehr junge Burschen durch die Hand anderer junger Burschen auf den Feldern von Frankreich den Tod fanden.
Ich wurde mit dem Gepäck an der Londoner Stadtvilla abgesetzt, während Hannah und Teddy weiterfuhren. Simion und Estella erwarteten das frisch vermählte Paar zum Nachmittagstee. Hannah wäre am liebsten direkt nach Hause gefahren, aber Teddy bestand auf dem Besuch. Er musste sich ein Lächeln verkneifen. Offenbar hatte er irgendeinen Trumpf im Ärmel.
Ein Diener trat aus der Tür, nahm einen Koffer in jede Hand und verschwand damit wieder im Haus. Hannahs Handtasche ließ er zu meinen Füßen stehen. Ich wunderte mich. Ich hatte kein anderes Personal erwartet und fragte mich, wer den Mann wohl eingestellt hatte.
Einen Augenblick blieb ich stehen und ließ die Atmosphäre des Platzes auf mich wirken. Benzindämpfe mischten sich mit dem süßlichen Geruch nach warmen Pferdeäpfeln. Ich reckte meinen Hals, um die ganze sechsstöckige Villa betrachten zu können. Der braune Ziegelbau mit weißen Säulen rechts und links vom Eingang stand in einer Reihe mit beinahe identischen Häusern. Eine der weißen Säulen trug die schwarze Ziffer 17. Grosvenor Square, Nummer siebzehn. Mein neues Zuhause, wo ich als Zofe einer richtigen Lady arbeiten würde. Ich nahm Hannahs Tasche und ging nach unten.
Zum Dienstboteneingang gelangte man über eine Treppe, die parallel zur Straße in den Keller führte und mit einem schwarzen gusseisernen Geländer versehen war.
Die Eingangstür war geschlossen, aber es drangen gedämpfte Stimmen nach draußen. Zweifellos wurde da drinnen gestritten. Durch das Kellerfenster erblickte ich den Rücken eines Mädchens, dessen Gebaren (»dreist«
hätte Mrs Townsend es genannt) zusammen mit der wilden blonden Lockenpracht, die unter ihrem Hut hervorlugte, den Eindruck ungestümer Jugendlichkeit vermittelte. Sie stritt sich mit einem untersetzten, dicken Mann, dessen Hals vor Wut rot angeschwollen war.
Wie um ihre letzten triumphierenden Worte zu unterstreichen, warf sie ihre Tasche über die Schulter und schritt zum Ausgang. Ehe ich ausweichen konnte, flog die Tür auf, und wir standen uns plötzlich verblüfft gegenüber, sahen uns wie verzerrte Bilder in einem Spiegelkabinett. Sie reagierte zuerst und lachte schallend auf, wobei winzige Speicheltröpfchen auf meinem Hals landeten. »Und ich dachte, Dienstmädchen wären schwer zu kriegen!«, sagte sie gehässig. »Herzlich willkommen. Ich habe die Nase voll davon, für einen Hungerlohn im Dreck anderer Leute herumzuwühlen!«
Sie schob sich an mir vorbei und schleppte ihren Koffer die Stufen hinauf. Oben angekommen drehte sie sich noch einmal um und rief: »Izzy Batterfield sagt auf Wiedersehen. Bonjour, Mademoiselle Isabella!« Mit wehenden Röcken und einem letzten perlenden Lachen zog sie von dannen, bevor ich etwas erwidern und ihr erklären konnte, dass ich eine Zofe war. Und keineswegs ein Dienstmädchen.
Ich klopfte an die angelehnte Tür. Als niemand reagierte, trat ich ein. Das Haus hatte den unverwechselbaren Geruch nach Bienenwachs (wenn auch nicht von Stubbins & Co.) und Kartoffeln, aber da war noch etwas anderes, das mir, obwohl nicht direkt unangenehm, nicht im Geringsten vertraut war.
Der Mann saß am Tisch, eine hagere Frau stand hinter ihm, die Hände auf seinen Schultern, knotige Hände, die Haut gerötet und an den Fingernägeln eingerissen.
Sie drehten sich gleichzeitig um. Die Frau hatte einen riesigen schwarzen Leberfleck unter dem linken Auge.
»Guten Tag«, sagte ich, »ich …«
»Gut, ja?«, fiel mir der Mann ins Wort. »Mir ist soeben das dritte Dienstmädchen innerhalb von ein paar Wochen weggelaufen, in zwei Stunden haben wir ein Fest, und ich soll glauben, das wäre ein guter Tag?«
»Beruhige dich«, sagte die Frau und schürzte die Lippen. »Diese Izzy ist eine Hure. Will ihr Glück als Hellseherin versuchen. Wenn sie dafür eine Begabung hat, bin ich die Königin von Saba. Der wird noch mal ein unzufriedener Freier den Hals aufschlitzen. Ihr werdet noch sehen, dass ich recht behalte!«
Etwas in der Art, wie sie das sagte, ein grausames Lächeln, das um ihre Lippen spielte, ein Schimmer
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