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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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aus dem Kleid half, »wer hätte je gedacht, dass ich einmal Zeichnungen so viel würde abgewinnen können.«
    Zeichnungen, Kunstgegenstände, Menschen, Gerüche. Sie war hungrig auf jede neue Erfahrung. Sie musste Jahre nachholen, Jahre, die sie für vergeudet hielt, in denen sie nur darauf gewartet hatte, dass das Leben endlich begann. Es gab so viele Menschen, mit denen man sich unterhalten konnte: wohlhabende Leute, die sie in Restaurants kennenlernten, Politiker, die gerade den Friedensvertrag entworfen hatten, Straßenmusiker, denen sie auf ihren Spaziergängen begegneten.
    Teddy war nicht blind für ihre Reaktionen, für ihren Hang zu Übertreibungen, ihre Neigung zu ungebremster Begeisterung, aber er schrieb ihre Überschwänglichkeit ihrem jugendlichen Alter zu. Diesem Zustand, den er als gleichermaßen hinreißend wie verwirrend empfand, würde sie mit der Zeit entwachsen. Nicht dass er sich das schon damals gewünscht hätte, dazu war er noch viel zu verliebt. Er versprach ihr für das nächste Jahr eine Reise nach Italien, wo sie sich Pompeji, die Uffizien und das Kolosseum ansehen würden; es gab nur wenig, das er ihr nicht versprochen hätte. Denn sie war für ihn wie ein Spiegel, in dem er sich nicht länger als Sohn seines Vaters sah – solide, konventionell, langweilig –, sondern als Ehemann einer charmanten, wenn auch unberechenbaren Frau.
    Hannah selbst sprach nicht oft über Teddy. Er war nur ein Anhängsel, ein Accessoire, dessen Anwesenheit das Abenteuer möglich machte, auf das sie aus war. Natürlich mochte sie ihn. Hin und wieder amüsierte sie sich über ihn (allerdings meist dann, wenn er es am wenigsten beabsichtigte), sie fand ihn gutmütig und mochte
seine Gesellschaft. Seine Interessen waren erheblich weniger vielfältig als ihre, sein Verstand weniger scharf, aber sie lernte, seinem Ego wenn notwendig zu schmeicheln und sich intellektuelle Anregung anderweitig zu holen. Und wenn sie ihn nicht liebte, welche Rolle spielte das schon? Damals war ihr der Mangel noch nicht bewusst. Wer brauchte schon Liebe, wenn das Leben einem so viel anderes zu bieten hatte?
    Eines Morgens, gegen Ende der Hochzeitsreise, wachte Teddy mit einer starken Migräne auf. In den folgenden Jahren sollten immer wieder solche Anfälle auftreten; sie kamen nicht oft, aber wenn, dann sehr heftig, das Vermächtnis einer Kinderkrankheit. Er konnte dann nichts anderes tun, als ganz still in einem abgedunkelten, ruhigen Zimmer zu liegen und hin und wieder einen Schluck Wasser zu trinken. Beim ersten Mal reagierte Hannah verunsichert; sie war zeit ihres Lebens von Krankheiten verschont geblieben.
    Etwas verstört bot sie ihm an, ihm Gesellschaft zu leisten, aber Teddy war ein vernünftiger Mann, dem es nicht lag, Trost aus dem Unbehagen anderer zu ziehen. Er sagte ihr, es gebe nichts, das sie tun könne, und es wäre eine Schande, wenn sie ihre letzten Tage in Paris nicht genießen würde.
    Ich wurde als Begleitung gebraucht; Teddy empfand es als unziemlich, wenn eine Dame allein auf der Straße gesehen wurde, selbst wenn sie verheiratet war. Hannah hatte keine Lust, einkaufen zu gehen, und war es leid, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten. Sie wollte ihr Paris auf eigene Faust erforschen und erkunden. Also gingen wir spazieren. Sie benutzte keinen Stadtplan, sondern wandte sich in jede Richtung, die ihr gerade in den Sinn kam.
    »Komm, Grace«, sagte sie immer wieder. »Lass uns nachsehen, was es in dieser Straße gibt.«

    Schließlich erreichten wir eine Gasse, dunkler und schmaler als die vorherigen. Ein enger Pfad zwischen zwei Reihen von Häusern, die sich mit windschiefen Giebeln gegeneinanderzulehnen schienen. Leise Musik drang aus der Gasse, und in der Luft hing ein merkwürdig vertrauter Geruch nach Essen, durchsetzt mit einem Hauch von Verwesung. Und es gab Leben. Menschen. Stimmen. Einen Moment lang blieb Hannah zögernd stehen, dann betrat sie die Gasse. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
    Wir befanden uns in einem bekannten Künstlerviertel, wie ich heute weiß. Seit ich in den Sechzigerjahren Haight-Ashbury und Carnaby Street kennenlernte, habe ich einen Blick für den gewollt schlampigen Bohème-Stil mittelloser Künstler. Aber damals war all das neu für mich. Der einzige Ort, den ich außer Riverton kannte, war Saffron, und da hatte die Armut nichts Künstlerisches. Wir stapften durch die Gasse, vorbei an kleinen Ständen und offenen Türen, an mit Laken abgetrennten Räumen, an

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