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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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in sein Anrichtezimmer, schloss die Tür hinter mir und ließ mir eine zweifelhafte Ehre zuteil werden. Jeden Winter wurden alle zehntausend Bücher, Zeitschriften und Manuskripte, die die Bibliothek von Riverton beherbergte, aus ihren Regalen genommen, abgestaubt und wieder zurückgestellt. Dieses jährliche Ritual wurde seit 1846 gepflegt. Ursprünglich hatte Lord Ashburys Mutter es eingeführt. Staub machte sie verrückt, sagte Nancy, und sie hatte ihre Gründe. Denn eines Nachts im späten Herbst war Lord Ashburys kleiner Bruder, einen Monat vor seinem dritten Geburtstag und von allen innig geliebt, in einen Schlaf gesunken, aus dem er nie wieder erwachte. Obwohl seine Mutter keinen Arzt finden konnte, der sie in ihrer Vermutung bestärkte, blieb sie bei ihrer Überzeugung, dass ihr jüngstes Kind an dem uralten Staub gestorben war, der in der Luft hing. In erster Linie machte sie die Bibliothek für seinen Tod verantwortlich, denn dort hatten die Jungen den schicksalhaften Tag verbracht und waren zwischen den Land- und Seekarten, auf denen die Routen ihrer Vorfahren dargestellt waren, auf imaginäre Entdeckungsreisen gegangen.
    Lady Gytha Ashbury war keine Frau, mit der sich spaßen ließ. Mit dem Mut und der Zielstrebigkeit aus derselben Quelle, aus der sie die Kraft geschöpft hatte, um der Liebe willen ihre Heimat und ihre Familie zu verlassen und auf ihre Mitgift zu verzichten, schob sie ihre Trauer beiseite. Unverzüglich erklärte sie dem Staub den Krieg, rief ihre Truppen zusammen und befahl ihnen, den heimtückischen Feind zu vernichten. Eine Woche lang schrubbten und wischten sie, bis Lady Ashbury endlich davon überzeugt war, dass sie das letzte Staubkörnchen vernichtet hatten. Erst dann weinte sie um ihren kleinen Jungen.

    Jedes Jahr, wenn die letzten bunten Blätter von den Bäumen fielen, wurde das Ritual gewissenhaft wiederholt. Selbst nach ihrem Tod wurde der Brauch noch beibehalten. Und im Jahr 1915 wurde ich damit beauftragt, dem Gedenken an die ehemalige Lady Ashbury Genüge zu tun. (Zum Teil, da bin ich mir sicher, zur Strafe dafür, dass ich Alfred am Tag zuvor im Dorf beobachtet hatte. Mr Hamilton dankte es mir nicht, dass ich das Gespenst der Kriegsschande nach Riverton gebracht hatte.)
    »In dieser Woche bist du nach dem Frühstück von deinen üblichen Pflichten entlassen«, sagte er lächelnd, während er hinter seinem Schreibtisch saß. »Dann wirst du in die Bibliothek gehen und alle Bücher aus den Regalen nehmen und abstauben. Du fängst bei der Galerie an und arbeitest dich dann weiter nach unten vor.«
    Er befahl mir, mich mit einem Paar Baumwollhandschuhe und einem feuchten Lappen zu bewaffnen und mich auf eine langwierige und eintönige Arbeit gefasst zu machen.
    »Und denk dran, Grace«, fügte er hinzu, die Hände auf den Schreibtisch gestützt, »Lord Ashbury ist äußerst pingelig, was Staub angeht. Dir wird eine große Verantwortung übertragen, eine, für die du dankbar sein …«
    Seine Moralpredigt wurde unterbrochen, als es an der Tür klopfte.
    »Herein«, rief er stirnrunzelnd.
    Die Tür flog auf, und Nancy stürzte herein, ihre dürre Gestalt nervös wie eine Spinne. »Mr Hamilton«, sagte sie, »kommen Sie schnell. Sie werden oben gebraucht.«
    Er sprang auf, nahm seine schwarze Jacke von einem Bügel hinter der Tür und eilte die Treppe hinauf. Nancy und ich folgten ihm auf dem Fuße.
    In der Eingangshalle stand Dudley, der Gärtner, und zerdrückte seinen Hut mit seinen rissigen Händen. Zu
seinen Füßen lag eine riesige, frisch geschlagene Nordmanntanne, aus deren Stamm noch der Saft tropfte.
    »Mr Dudley«, sagte Mr Hamilton. »Was machen Sie denn hier?«
    »Ich habe den Weihnachtsbaum gebracht, Mr Hamilton. «
    »Das sehe ich selbst. Aber was machen Sie hier ?« Mit einer ausladenden Handbewegung zeigte er auf die große Halle, dann fiel sein Blick auf den Baum. »Und vor allem: Was hat der Baum hier zu suchen? Er ist riesig.«
    »Ja, eine wunderschöne Tanne«, erwiderte Dudley feierlich, während er die Tanne betrachtete, als wäre sie seine Geliebte. »Ich habe sie schon seit Jahren im Auge und habe geduldig abgewartet, bis sie ihre ganze Pracht entfaltet hat. Und dieses Jahr Weihnachten ist sie ausgewachsen. « Er sah Mr Hamilton ernst an. »Vielleicht ein bisschen zu ausgewachsen.«
    Mr Hamilton wandte sich an Nancy. »Was in aller Welt geht hier vor?«
    Nancys Hände waren zu Fäusten geballt, ihr Mund zu einer Linie zusammengepresst. »Er passt nicht,

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