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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Mr Hamilton. Er hat versucht, ihn im Salon aufzustellen, wo er immer steht, aber er ist einen Fuß zu hoch.«
    »Haben Sie ihn denn nicht gemessen?«, fragte Mr Hamilton den Gärtner.
    »O doch, Sir«, sagte Dudley. »Aber Rechnen war noch nie meine Stärke.«
    »Dann holen Sie Ihre Säge, Mann, und sägen Sie ein Stück ab.«
    Mr Dudley schüttelte bedauernd den Kopf. »Das würde ich ja gern tun, Sir, aber ich fürchte, ich kann nichts mehr absägen. Der Stamm ist schon so kurz, wie es geht, und ich kann schließlich oben nichts absägen, nicht
wahr?« Er schaute uns an. »Wo würde dann der schöne Engel hinkommen?«
    Eine Weile zerbrachen wir uns den Kopf über die missliche Lage, während die Sekunden sich in der marmornen Halle auszudehnen schienen. Wir alle wussten, dass die Herrschaften jeden Augenblick zum Frühstück erscheinen würden. Schließlich traf Mr Hamilton eine Entscheidung. »Ich schätze, dann bleibt uns keine andere Wahl. Da wir die Spitze nicht absägen und ebenso wenig den Engel seines Platzes und seines Zwecks berauben können, werden wir dieses eine Mal von der Tradition abweichen und den Baum in der Bibliothek aufstellen müssen.«
    »In der Bibliothek, Mr Hamilton?«, fragte Nancy entgeistert.
    »Ja. Unter der Glaskuppel.« Er warf Dudley einen vernichtenden Blick zu. »Wo die Tanne ihre ganze Pracht zur Geltung bringen kann.«
    Und so kam es, dass am Morgen des 1. Dezember 1915, als ich mich hoch oben auf der Galerie der Bibliothek, am hintersten Ende des hintersten Regals für eine Woche Staubwischen wappnete, eine herrliche frühreife Tanne mitten in der Bibliothek stand und ihre Äste ekstatisch gen Himmel reckte. Ich befand mich auf Augenhöhe mit ihrer Spitze, und der berauschende Duft erfüllte die träge, verstaubte Luft im ganzen Raum.
    Die Galerie auf Riverton verlief in großer Höhe an allen vier Wänden entlang, und es war gar nicht so einfach, sich nicht ablenken zu lassen. Das Zaudern ist der Freund des Widerwillens, und der Anblick, der sich mir bot, war einfach umwerfend. Egal, wie vertraut einem eine Szenerie ist, sie von oben zu betrachten ist wie eine Offenbarung. Ich stand am Geländer und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen.

    Die Bibliothek – normalerweise so riesig und imposant – kam mir mit einem Mal vor wie eine Bühnenkulisse. Ganz gewöhnliche Dinge – der Steinway-Flügel, der eichene Schreibtisch, Lord Ashburys Globus – erschienen plötzlich wie kleinere Duplikate ihrer selbst und wirkten, als seien sie Requisiten für Schauspieler, die jeden Moment die Bühne betreten würden.
    Vor allem die Sitzgruppe strahlte etwas theatralisch Erwartungsvolles aus. Die Chaiselongue in der Bühnenmitte, rechts und links je ein mit hübschen geblümten Volants umrandeter Sessel, das Rechteck aus Wintersonnenlicht, das auf den Flügel und den Perserteppich fiel. Lauter Requisiten, die geduldig darauf warteten, dass die Schauspieler ihre Positionen einnahmen. Welches Stück würden sie wohl in einem solchen Bühnenbild aufführen, fragte ich mich. Eine Komödie? Eine Tragödie? Vielleicht etwas Modernes?
    Auf diese Weise hätte ich den ganzen Tag vertrödeln können, wäre da nicht diese hartnäckige Stimme in meinem Ohr gewesen, die Stimme von Mr Hamilton, die mich daran erinnerte, dass Lord Ashbury gern unangekündigte Staubkontrollen durchführte. Und so schob ich meine Gedanken widerwillig beiseite und zog das erste Buch aus dem Regal. Ich wischte den Staub ab – Deckel, Rücken, Deckel –, stellte es zurück und nahm mir das nächste vor.
    Am späten Vormittag hatte ich fünf der zehn Regale auf der Galerie entstaubt und wollte mir gerade das nächste vornehmen. Da ich bei den oberen Regalen angefangen hatte, konnte ich mich jetzt den unteren zuwenden und dort im Sitzen weitermachen, was mir die Arbeit ein wenig erleichterte. Nachdem ich Hunderte von Büchern entstaubt hatte, waren meine Hände geübt und führten ihre Arbeit automatisch aus,
was mir ganz recht war, denn mein Kopf war wie benommen.
    Ich hatte gerade das sechste Buch vom sechsten Regalbrett genommen, als ein unverschämt schriller Ton aus dem Flügel ganz plötzlich die winterliche Stille des Raums durchschnitt. Erschrocken fuhr ich herum und spähte nach unten.
    Vor dem Flügel, die Finger zärtlich auf die elfenbeinernen Tasten gelegt, stand ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Und doch wusste ich sofort, dass es nur Master Davids Freund aus Eton sein konnte. Lord Hunters

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