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Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
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Fanny: Sie war verheiratet, und zwar mit einem Helden. Wenn ein Brief des Majors eintraf, von Mr Hamilton auf einem silbernen Tablett würdevoll in den Salon getragen, stand Jemima sofort im Rampenlicht. Sie nahm den Brief mit einem huldvollen Nicken entgegen, schlug respektvoll die Augen nieder, seufzte wie das Leiden in Person, riss den Umschlag auf und entnahm ihm seinen wertvollen Inhalt. Anschließend wurde der Brief in angemessen feierlichem Ton einem faszinierten Publikum vorgelesen.
    Für Hannah und Emmeline im ersten Stock schien die Zeit überhaupt nicht vergehen zu wollen. Sie waren schon seit zwei Wochen auf Riverton, und da sie bei dem scheußlichen Wetter nicht draußen herumtollen konnten und ihr Schulunterricht ausfiel – Miss Prince war von
kriegswichtigen Tätigkeiten in Anspruch genommen –, begannen sie sich zu langweilen. Inzwischen hatten sie jedes Spiel gespielt, das sie kannten – Fadenspiele, Domino, Goldgräber (was, glaube ich, darin bestand, an einer Stelle am Arm des anderen so lange zu kratzen, bis sie blutete oder die Langeweile siegte) –, sie hatten Mrs Townsend so lange beim Weihnachtsplätzchenbacken geholfen, bis ihnen vom Teignaschen übel war, und sie hatten Nanny Brown dazu überredet, den Dachboden aufzuschließen, damit sie zwischen verstaubten, längst vergessenen Schätzen herumklettern konnten. Aber sie sehnten sich danach, das SPIEL zu spielen. (Ich hatte Hannah in der chinesischen Kiste herumstöbern und alte Abenteuerbüchlein lesen sehen, wenn sie sich unbeobachtet fühlte.) Aber um das SPIEL zu spielen brauchten sie David, der erst in einer Woche aus Eton kommen würde.
    Als ich an einem Nachmittag Ende November im Wäscheraum gerade dabei war, die besten Tischtücher für Weihnachten vorzubereiten, stürmte Emmeline herein. Sie blieb stehen, schaute sich um, dann marschierte sie auf den Wandschrank zu und riss die Tür auf. Warmes Kerzenlicht bildete einen Halbkreis auf dem Boden. »Aha!«, rief Emmeline triumphierend. »Wusste ich’s doch, dass du da drin bist.«
    Sie streckte die Arme aus und öffnete die Hände, und zum Vorschein kamen zwei Zuckermäuse, die außen schon klebrig waren. »Von Mrs Townsend.«
    Aus dem dunklen Schrank erschien ein langer Arm und schnappte sich eine der Mäuse.
    Emmeline leckte an ihrem Zuckerklumpen. »Mir ist langweilig. Was machst du gerade?«
    »Ich lese«, lautete die Antwort.
    »Und was liest du?«

    Schweigen.
    Emmeline lugte in den Schrank und zog die Nase kraus. » Krieg der Welten? Schon wieder?«
    Es kam keine Antwort.
    Emmeline leckte nochmals nachdenklich an ihrer Zuckermaus, betrachtete sie von allen Seiten, knibbelte an einem Fädchen, das am Mäuseohr klebte. »Ich weiß was!«, rief sie plötzlich aus. »Wir könnten zum Mars fliegen! Sobald David kommt.«
    Schweigen.
    »Wir würden Marsmännchen treffen, gute und böse, und alle möglichen Gefahren bestehen.«
    Wie alle jüngeren Geschwister hatte Emmeline es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Vorlieben ihres Bruders und ihrer Schwester zu imitieren; sie brauchte nicht erst im Schrank nachzusehen, um sich zu vergewissern, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
    »Wir werden es dem Komitee vorschlagen«, lautete die Antwort.
    Emmeline quiekte aufgeregt, klatschte in die klebrigen Hände und hob einen mit einem hohen Schnürschuh bekleideten Fuß, um in den Schrank zu klettern. »Und können wir David sagen, dass es meine Idee war?«, fragte sie.
    »Pass auf die Kerze auf.«
    »Ich könnte die Karte diesmal in Rot zeichnen anstatt in Grün. Stimmt es, dass die Bäume auf dem Mars rot sind?«
    »Klar sind die rot. Auch das Wasser, der Boden, die Kanäle und die Krater.«
    »Krater?«
    »Riesige, tiefe, dunkle Löcher, in denen die Marsbewohner ihre Kinder unterbringen.«
    Ein Arm erschien und zog die Tür zu.

    »Wie Brunnen?«, wollte Emmeline wissen.
    »Nur tiefer. Und dunkler.«
    »Warum bringen sie denn da ihre Kinder unter?«
    »Damit niemand die schrecklichen Experimente sieht, die sie an ihnen durchführen.«
    »Was denn für Experimente?«, fragte Emmeline atemlos.
    »Das wirst du schon noch erfahren«, antwortete Hannah. »Falls David jemals kommt.«
     
    Wie immer war unser Dasein im Untergeschoss ein düsteres Spiegelbild des Lebens in den oberen Etagen.
    Eines Abends, nachdem die Herrschaften sich zum Schlafen zurückgezogen hatten, versammelten wir uns am Kaminfeuer des Dienstbotentrakts. Mr Hamilton und Mrs Townsend thronten wie Buchstützen an den

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