Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
begannen. Er mochte ja nicht mehr sehen können, aber er war immer noch so flink wie ein Berglöwe, weshalb sie erschrak, als er über ein Grasbüschel stolperte und wie ein Stein zu Boden fiel.
»Gabriel!«, rief sie, ohne es zu merken, dass sie seinen Vornamen benutzte.
Sie raffte ihre Röcke und eilte an seine Seite. Neben ihm ließ sie sich auf die Knie nieder, wobei sie sich unwillkürlich das Schlimmste ausmalte. Was, wenn er sich den Knöchel gebrochen hatte? Oder sich den Kopf an einem Stein unter der Grasnabe gestoßen hatte?
Heimgesucht von der Erinnerung an seinen blutüberströmten Körper auf dem Fußboden seines Schlafzimmers, bettete sie seinen Kopf in ihrem Schoß und strich ihm zärtlich das Haar aus der Stirn. »Kannst du mich hören, Gabriel? Geht es dir gut?«
»Jetzt schon.« Ehe Samantha auf das heisere Flüstern reagieren konnte, hatte er seine Arme um sie geschlungen und sie zu sich heruntergezogen, wobei ihre Brille verrutschte.
Nie hätte sie gedacht, dass er so vermessen sein könnte, sich mit ihr vor der versammelten Dienerschaft im Gras zu rollen – als sei er ein Schäferjunge und sie ein Milchmädchen, das nur darauf wartete, vernascht zu werden. Aber genau das tat er, und seine Beine verfingen sich in ihren Röcken, worauf sie beide in hilfloses Gelächter ausbrachen.
Das Nächste, was sie wusste, war, dass sie auf dem Rücken lag, Gabriels großer, warmer Körper sie bedeckte. Sein Griff wurde sanfter, ihr Lachen erstarb.
Zu spät bemerkte Samantha, dass auch alle anderen verstummt waren.
Sie blickte über Gabriels Schulter und blinzelte durch ihre verrutschten Brillengläser nach oben. Ein Fremder stand über ihnen – ein stämmiger Mann mit breitem Brustkorb, bekleidet mit gold und grün gestreiften Strümpfen und einer eher altmodischen Kniehose. Das verblasste Goldblond seiner Haare war leicht gepudert, sodass sich sein Alter nur schwer schätzen ließ. Manschetten aus edler venezianischer Spitze umrahmten seine kräftigen Handgelenke. Als er ihr eine Hand hinhielt, funkelte der enorme Rubinring, der seinen Mittelfinger zierte, wie ein frischer Blutstropfen im Sonnenlicht.
»M-m-mylord«, stammelte Beckwith. Seine Augenbinde war verrutscht und hing nun schief, sodass er wie ein dicklicher, bleicher Pirat aussah. »Wir haben keine Nachricht von Ihrem Besuch erhalten. Wir haben Sie nicht erwartet.«
»Das sehe ich«, fuhr ihn der Mann in einem herrischen Ton an, den Samantha nur zu gut kannte.
Erst da begriff sie, dass sie in das gestrenge Antlitz von Theodore Fairchild blickte, dem Marquis von Thornwood – Gabriels Vater und ihr Dienstherr.
15
Meine liebste Cecily,
ich kann dir versichern,
dass meine Familie dich an beten wird –
so sehr, wie ich es tue …
Die ausgestreckte Hand des Marquis verschmähend, schob Samantha Gabriel von sich und kam umständlich auf die Beine. Gabriel verschwendete keine Zeit, sich selbst auch zu erheben. Er stand steif und mit versteinerter Miene neben ihr. Der Rest der Dienerschaft hatte sich in Grüppchen um sie versammelt, und sie sahen allesamt aus, als würden sie es vorziehen, Nachttöpfe auszuleeren oder die Ställe auszumisten, statt hier zu sein.
Ihre Brille gerade rückend, versank Samantha in einem tiefen Knicks. »Es ist mir eine große Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mylord. Ich bin Samantha Wickersham, die Pflegerin Ihres Sohnes.«
»Ich kann verstehen, warum er so bemerkenswerte Fortschritte gemacht hat seit unserem letzten Besuch hier.« Obwohl seine Stimme schroff klang, hätte sie schwören können, dass sie einen Funken Humor in seinen Augen aufglimmen sah.
Sie war sich nur zu bewusst, was für ein skandalöses Bild sie bieten musste. Mit ihrem zerknitterten und mit Grasflecken übersäten Kleid, den geröteten Wangen und den Haaren, die sich aus dem Knoten im Nacken gelöst hatten und ihr nun lose halb über den Rücken fielen, sah sie vermutlich mehr wie die Dorfschlampe aus als wie eine anständige Frau, die er anstellen konnte, damit sie sich um seinen Sohn kümmerte.
Vier elegant gekleidete Damen standen dicht zusammengedrängt hinter dem Marquis auf dem Rasen. Jede ihrer Locken befand sich genau an der Stelle unter den reich verzierten Hüten, an die sie auch gehörte, jede Schleife, jedes Band und jeder Spitzenbesatz waren perfekt gestärkt. Samantha fühlte, wie sich ihre Lippen zusammenpressten. Diese Sorte Frau kannte sie nur zu gut.
Obwohl sie sich angesichts ihrer Anwesenheit noch mehr wie
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