Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
ihn wie so treulose Tomaten!«
Valerie lehnte sich vor, drückte Eugenia die Hand, und in ihren hellgrünen Augen glitzerten Tränen. »Das ist ungerecht, Honoria! Wir vermissen Gabriel genauso wie du. Aber dieser schlecht gelaunte Grobian, der gewütet und uns beschimpft hat, als wir letztes Mal herkamen, war nicht unser Bruder. Wir wollen unseren Gabriel wieder haben.«
»Ruhig, ruhig, Mädels«, murmelte ihr Vater. »Es gibt keinen Grund, eine ohnehin schon schwierige Situation noch schlimmer zu machen, indem ihr auch noch streitet.« Während Honoria sich gekränkt abwandte und wieder aus dem Fenster blickte, bemühte er sich um einen Abklatsch seines gewohnt fröhlichen Lächelns. »Wenn euer Bruder sieht, was wir ihm diesmal mitgebracht haben, ist er uns vielleicht gewogener gesonnen.«
»Aber das ist doch genau das Problem«, platzte Lady Thornwood heraus. »Nach dem, was deine teuren Ärzte gesagt haben, wird er ja wohl nichts sehen, oder? Nicht heute und nie mehr wieder.« Ihr rundliches Gesicht legte sich in betrübte Falten, ihre Tränen hinterließen in der Schicht Gesichtspuder eine glänzende Spur. Sie nahm das Taschentuch, das ihr Gemahl ihr hinhielt, und betupfte sich die überfließenden Augen. »Vielleicht haben Valerie und Eugenia ja Recht. Vielleicht hätten wir gar nicht kommen sollen. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen kann, meinen lieben Jungen in dieses dunkle Haus gesperrt zu sehen, als ob er ein Tier wäre.«
»Mama?« Honoria rieb an dem fleckigen Glas des Kutschenfensters, und in ihrer Stimme schwang Verwunderung mit.
»Lass Mama in Ruhe«, fuhr Eugenia sie an. »Siehst du denn nicht, wie verzweifelt sie ist?«
Valerie holte etwas Hirschhornsalz aus ihrem Retikül und hielt es ihrer Mutter hin. »Hier, Mama. Bitte nimm das, sobald du einen Anflug von Unwohlsein verspürst.«
Lady Thornwood winkte ab, ihre Aufmerksamkeit galt der verblüfften Miene ihrer jüngsten Tochter. »Was ist, Honoria? Du siehst aus, als hättest du einen Geist erblickt.«
»Vielleicht habe ich das ja. Ich denke, du solltest besser selbst sehen.«
Als Honoria das Fenster öffnete, kletterte Lady Thornwood über die Beine ihres Mannes, wobei sie ihm unabsichtlich auf die Zehen trat, um an die Seite ihrer Tochter zu gelangen. Neugierig drängten sich Eugenia und Valerie hinter ihre Mutter.
Es schien irgendeine Art von Lustbarkeit im Gange zu sein. Die Teilnehmer standen verstreut auf der grasbewachsenen Anhöhe herum, die sich vor dem Herrenhaus erstreckte, und ihr Gelächter und ihr Rufen klangen wie Musik in der Luft. Sie waren zu sehr mit dem fröhlichen Treiben beschäftigt, um die herannahende Kutsche überhaupt zu bemerken.
Den Hals reckend, um über die Mauer aus modischen Damenhüten hinweg etwas erkennen zu können, blieb dem Marquis der Mund offen stehen. »Was, in drei Teufels Namen, verschwenden die Dienstboten da ihre Zeit mit einem solchen Unsinn, wo sie doch arbeiten sollten? Was denken die, was wir haben – Weihnachten? Himmel, ich werde Beckwith beauftragen, die ganze Bande zu entlassen!«
»Dazu wirst du ihn erst fangen müssen«, erklärte Valerie, als der Butler gerade den Abhang hinunterlief und einer kreischenden Mrs. Philpot nachsetzte.
Eugenia schlug sich eine Hand vor den Mund, um ihr entsetztes Kichern zu unterbinden. »Sieh dir das nur an, Valerie! Wer hätte gedacht, dass der steife alte Klotz dazu in der Lage ist?«
Die Marquise wollte sich gerade umdrehen und ihre Tochter für eine derart undamenhafte Ausdrucksweise tadeln, da fiel ihr Blick auf den Mann, der sich am Rande des ausgelassenen Treibens bewegte. Sie wurde so blass, dass es aussah, als benötigte sie das Hirschhornsalz auf der Stelle.
Als er auf der Anhöhe oben stehen blieb, seine herrische Gestalt umrahmt von dem strahlend blauen Himmel, legte sie sich unwillkürlich eine Hand aufs Herz, glaubte einen wundersamen Augenblick lang, ihr Sohn sei ihr zurückgegeben. Er stand hoch aufgerichtet dort, die Schultern gerade, das goldene Haar im Sonnenlicht glänzend.
Doch dann drehte er sich um, und sie sah die gezackte Narbe, die seine makellosen Züge verunstaltete – die grimmige Erinnerung daran, dass der Gabriel, den sie gekannt und geliebt hatte, für immer gegangen war.
Samantha wusste, dass sie Gabriel nicht für immer ausweichen konnte. Aber sie musste es ihm auch nicht unnötig leicht machen, sie zu erwischen. Diesem Vorsatz folgend hielt sie sich hinter den anderen Dienstboten, als sie ihr Spiel
Weitere Kostenlose Bücher