Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
Stuhl.
»Warum fahren wir dann nicht heim?«, fragten Valerie und Eugenia beinahe einstimmig.
»Ach, bitte, Papa«, flehte Valerie. »Uns ist so langweilig.«
Eugenia knetete das Spitzentaschentuch in ihrer Hand zu einem Ball, ihre Miene hoffnungsvoll. »Valerie hat Recht, Mama. Wenn Gabriel uns nicht hier haben will, warum fügen wir uns dann nicht einfach seinen Wünschen und gehen wieder? Miss Wickersham ist ja immer noch da und kann sich um ihn kümmern.«
»Ich verstehe gar nicht, warum er überhaupt eine Pflegerin braucht«, platzte Honoria heraus, blickte Samantha aber sofort entschuldigend an. »Ihr könntet mich hier lassen, dann sorge ich für ihn!«
»Und was ist mit deiner Vorstellung bei Hofe?«, erinnerte ihr Vater sie sanft. »Und mit deinem Einführungsball?«
Honoria zog den Kopf ein, sodass ihr weiches brünettes Haar ihre nachdenklichen Züge verdeckte. Sie mochte ihrem Bruder ergebener sein als ihre Schwestern, aber sie war schließlich erst siebzehn Jahre alt. »Gabriel braucht mich mehr als ich einen dämlichen Ball.«
»Ich habe keine Zweifel, dass Ihr Bruder in Ihren Händen bestens aufgehoben wäre«, erklärte Samantha und wählte ihre Worte mit Bedacht, »aber ich bin mir sicher, es wäre ihm viel lieber, wenn er wüsste, dass Sie Ihr Debüt hatten und somit eine Chance, einen Ehemann zu finden, der Sie so liebt wie er selbst.«
Während Honoria ihr einen dankbaren Blick zuwarf, erhob sich Gabriels Mutter und trat an die Terrassentür, die einen Spaltbreit offen stand, um die milde Frühlingsbrise in den stickigen Salon zu lassen.
Sie stand da, schaute in die fortschreitende Dämmerung, ihre Augen von Schatten heimgesucht. »Ich weiß nicht, wie er es ertragen kann, so zu leben. Manchmal denke ich, es wäre eine Gnade gewesen, wenn er einfach …«
»Clarissa!«, rief der Marquis empört, setzte sich aufrecht hin und klopfte mit seinem Gehstock auf den Boden.
Lady Thornwood wirbelte herum, und in ihrer Stimme schwang ein hysterischer Ton mit. »Ach, warum sprechen wir es nicht einfach aus, Theodore? Wir alle denken es doch, nicht wahr, jedes Mal, wenn wir ihn ansehen.«
Samantha erhob sich. »Was denken Sie?«
Gabriels Mutter wandte sich um und schaute sie mit verzerrter Miene an. »Dass es eine Gnade gewesen wäre, wenn mein Sohn dort an Deck des Schiffes gestorben wäre. Eine Gnade für ihn, wenn sein Leben sauber und schnell beendet worden wäre. Dann würde er nicht weiter und weiter leiden müssen. Er würde nicht so weiterleben müssen – dieses elende Leben als ein nur halber Mann!«
»Und wie praktisch das für Sie gewesen wäre!« Ein bitteres Lächeln spielte um Samanthas Lippen. »Schließlich wäre Ihr Sohn als Held gestorben. Statt gezwungen zu sein, an einem wunderschönen Frühlingstag einem verbitterten Fremden gegenüberzutreten, hätten Sie herfahren können und hübsche Blumen auf seinen steinernen Sarg in der Gruft legen können. Sie könnten ganz reizend Tränen vergießen, seinen tragischen Tod beklagen und wären mit Ihrer Trauer dennoch fertig, ehe der erste Ball der Saison stattfindet. Sagen Sie, Lady Thornwood – ist es Gabriels Leiden, für das Sie sich ein Ende wünschen? Oder Ihr eigenes?«
Die Marquise erbleichte, als hätte Samantha sie geohrfeigt. »Wie können Sie es wagen, so zu mir zu sprechen, Sie anmaßendes Geschöpf!«
Samantha ließ sich jedoch nicht einschüchtern. »Sie können es kaum ertragen, sein Gesicht zu sehen, nicht wahr? Weil er nicht länger der goldene Junge ist, den Sie angebetet haben. Er kann nicht mehr die Rolle des perfekten Sohnes für eine vernarrte Mutter spielen. Und darum sind Sie bereit für den letzten Vorhang. Warum, glauben Sie, ist er jetzt nicht hier?« Sie blickte vorwurfsvoll in die Runde, ehe sie wieder Gabriels Mutter ansah. »Weil er ganz genau weiß, was Sie alle denken, wenn Sie ihn anschauen. Ihr Sohn mag zwar blind sein, Mylady, aber dumm ist er nicht!«
Als Samantha so dastand, die zitternden Hände zu Fäusten geballt, wurde sie sich langsam bewusst, dass Valerie und Eugenia sie mit vor Entsetzen offenem Mund anstarrten. Honorias Unterlippe bebte, als würde sie beim nächsten scharfen Wort in Tränen ausbrechen.
Schamgefühl breitete sich in Samantha aus. Dennoch vermochte sie ihre Worte nicht zu bereuen, nur den Verlust dessen, was sie sie gekostet hatten.
Sie wandte sich zum Marquis um, hob ihr Kinn und blickte ihm ins Gesicht. »Verzeihen Sie mir meine Unverschämtheit, Mylord. Ich werde
Weitere Kostenlose Bücher