Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
noch einmal zurückkäme.
    Aber etwas war anders. Das waren nicht Veronicas Schritte. Sofia saß unter der Decke und versuchte herauszubekommen, wer es war. Sie hörte, wie sich die Person, die hereingekommen war, aufs andere Bett setzte. Sie hörte auch, wie ein Licht angezündet wurde, und spürte den Geruch nach Rauch und Stearin durch die Decke dringen. Schließlich konnte Sofia ihre Neugier nicht länger beherrschen und zog die Decke weg.
    Auf dem anderen Bett saß ein Mädchen in ihrem Alter. Sofia sah, dass ihr ein Bein fehlte, das linke. Sie sahen einander an.
    »Ich heiße Hortensia«, sagte das Mädchen. »Wie heißt du?« »Sofia.«
    »Hast du auch ein Bein verloren?« »Beide.«
    Es war wieder still. Sie sahen einander an. »Warum sitzt du unter der Decke?«, fragte das Mädchen. Sofia gab keine Antwort. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Ich soll hier wohnen«, sagte Hortensia. »Während ich im Krankenhaus lerne mit einem neuen Bein zu gehen.«
    Sofia dachte, sie träumte. Musste sie wirklich nicht mehr allein hier sein?
    »Wie lange bleibst du hier?«, fragte sie.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Hortensia. »Bestimmt sehr lange.«
    Von diesem Augenblick an veränderte sich alles für Sofia.
    Sie war nicht mehr allein.
    Hortensia und Sofia wurden Freundinnen. Manchmal dachte Sofia, es wäre, als hätte sie eine neue Schwester bekommen. Es konnte nie dasselbe werden wie mit Maria. Aber alles war so viel leichter geworden, seit Hortensia da war. Nachts konnte Sofia auf ihre Atemzüge lauschen und sie wusste, dass sie auch noch am Morgen da sein würde. Sie fuhren zusammen ins Krankenhaus, sie übten zusammen, sie saßen zusammen draußen bei den Frauen.
    Sie halfen einander die Haare flechten, sie erfanden Lieder und sie redeten über alles, was um sie herum geschah.
    Hortensia war auch auf eine Mine getreten. Sie kam von weit her, so weit, dass ihre Mama sie niemals besuchen konnte.
    »Ich leih dir meine Mama«, sagte Sofia. »Lydia hat auch Platz für dich.«
    Das stimmte genau. Als Lydia zu Besuch kam und sah, wie froh Sofia darüber war, dass sie nicht mehr allein war, behandelte sie Hortensia sofort, als ob sie ihre Tochter wäre.
    Die Tage vergingen schnell. Obwohl es sehr schwer war, auf neuen Beinen gehen zu lernen, merkten sie beide, dass es immer besser und besser ging. Eines Tages stellte Sofia fest, dass sie es mit nur einer Krücke schaffte.
    Mestre Emilio kam dazu und beobachtete ihre Fortschritte. Er versprach, dass ihre Beine bald fertig sein würden.
    Eines Abends erzählte Sofia Hortensia, dass sie schuld an Marias Tod war. Hortensia schüttelte den Kopf.
    »Du konntest doch nicht wissen, dass gerade dort eine Mine lag«, sagte sie. »Es war nicht deine Schuld. Die Mine ist schuld.«
    Als Sofia hörte, was Hortensia sagte, beschloss sie sich nie mehr unter der Decke zu verkriechen.
    Sie sprachen über alles miteinander. Aber da war etwas, das sie nie berührten. Sie wussten, dass sie sich eines Tages trennen mussten. Hortensia würde nach Hause fahren und Sofia würde nach Hause fahren. Den Gedanken konnte Sofia einfach nicht denken. Sie wollte Hortensia nicht verlieren, wie sie Maria verloren hatte. Auch wenn Hortensia weiterlebte, wäre es doch dasselbe. Sie würden sich nie mehr wieder sehen.
    Für Hortensia war alles leichter, weil sie nur ein neues Bein brauchte. Für Sofia war es viel schwerer. Manchmal war sie neidisch auf Hortensia, die nur ein Bein verloren hatte. Aber das behielt sie für sich. Sie erzählte nie jemandem, was sie fühlte.
    Eines Tages, sie waren gerade zurückgekommen in das Heim für Alte und Kranke und saßen in der Türöffnung und warteten aufs Essen, da kam ein Mann, der sagte, Hortensia brauche nicht mehr zu üben. Sie solle das bisschen, was sie besaß, zusammenpacken und sofort gehen.
    Er würde sie zu einem Bus fahren, der sie nach Hause bringen würde.
    Sie konnten sich fast nicht mehr voneinander verabschieden. Alles ging so schnell. Sie berührten einander nur schüchtern an den Händen. Dann war Hortensia fort. Sofia saß in der Türöffnung und sah sie gehen. Hortensia bog um die Ecke und war fort.
    Sofia machte die Tür hinter sich zu.
    Wieder war sie allein.
    8.
    Sofia hat Hortensia nie vergessen.
    Aber sie hat sie nie wieder gesehen.
    Jeden Morgen, wenn sie erwachte, wurde sie daran erinnert, dass Hortensia nicht mehr da war. Das Bett war leer.
    Sie fragte Veronica, ob vielleicht ein anderes Mädchen kommen würde. Aber Veronica wusste

Weitere Kostenlose Bücher