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Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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ganze Körper weh. Auf dem Fußboden neben dem Bett stand ein Teller mit kalter Maisgrütze und einem Stück Speck. Sie ließ sich auf den Fußboden rutschen und nahm den Teller mit zur Türöffnung.
    Draußen rutschte ein Mann ohne Augen vorbei. Sie folgte ihm mit Blicken. Er verschwand in einer der äußersten Türen des langen Gebäudes. Sofia erriet, dass sie dorthin musste, um ihre Notdurft zu verrichten.
    Sie war hungrig und begann zu essen. Aber das Essen schmeckte so schlecht, dass sie sich zwingen musste es hinunterzuschlucken. Sie dachte, dass es vielleicht verboten war das Essen nicht aufzuessen. Vielleicht würde man sie dann zur Strafe noch eine Nacht draußen im Rollstuhl sitzen lassen? Als der Teller leer war, stellte sie ihn beiseite und blieb in der Türöffnung sitzen. Sie sah ihre schmutzigen Verbände und war sehr traurig.
    Sie wollte nicht in dem dunklen Zimmer wohnen. Auch wenn sie nicht gehen konnte, sie wollte nach Hause zu Mama Lydia und Alfredo. Warum sollte sie bei den vielen alten und kranken Menschen wohnen, die sie nicht kannte?
    Hier gibt es nicht einmal Feuer, dachte sie. Es gibt keine Flammen, in die ich hineinschauen könnte. Sie haben mir nicht nur meine Beine weggenommen. Sie haben mir auch alle Geheimnisse des Feuers genommen.
    Wie lange sie in der Türöffnung gesessen hatte, wusste sie nicht. Als Veronica mit ihrem massigen Körper angewatschelt kam, um den leeren Teller abzuholen, sah sie, dass Sofia traurig war. Obwohl sie viel zu tun hatte, denn sie musste für alle, die hier wohnten, das Essen zubereiten, setzte sie sich zu Sofia, nahm sie in die Arme und drückte sie an sich.
    »Jetzt bist du traurig«, sagte sie. »Du hast keine Beine, du kannst nicht gehen. Deine Schwester ist nicht mehr da und du kennst niemanden hier. Du fragst dich, was geschehen wird. Und du musstest eine ganze Nacht allein im Rollstuhl sitzen. Das Essen ist auch nicht gut, obwohl ich das Beste aus dem bisschen zu machen versuche, was mir zur Verfügung steht. Du bist traurig und weißt nicht, was geschehen wird. Ist es nicht so?«
    Veronica hielt sie in ihren großen Armen wie in einem Schraubstock fest. Sofia nickte nur schwach als Antwort.
    Gleichzeitig war es schön. Sie konnte Veronicas Herz spüren.
    »In ein paar Tagen ist es leichter«, sagte Veronica. »Und du musst wieder gehen lernen. Du musst so lange hier bleiben, bis du deine neuen Beine bekommst.« Als Veronica gegangen war, fühlte Sofia sich besser. Nicht viel, aber trotzdem.
    Am nächsten Morgen weckte Veronica sie früh. Sofias ganzer Körper schmerzte, nachdem sie auf den Stahlfedern geschlafen hatte. Einmal war sie nachts aufgewacht, weil eine Ratte über sie hinwegsprang. »Wenn du wenigstens eine Matratze hättest, auf der du liegen könntest«, sagte Veronica. »Aber wir haben keine. Wir müssen froh sein, dass es etwas zu essen gibt.« Sofia rutschte zur Pumpe auf dem Hof und wusch sich. Dann kroch sie in den Rollstuhl. Veronica brachte sie auf den äußeren Hof. Von dort holte ein Auto sie ab. Im Krankenhaus wurde Sofia in einen großen Raum gebracht. An der einen Wand waren lauter Spiegel. Durch den Raum führten verschiedene Holzgeländer. Dort gingen Menschen in jedem Alter herum und lernten zum zweiten Mal in ihrem Leben gehen.
    Die meisten hatten nur ein künstliches Bein, einige hatten zwei. Sofia saß im Rollstuhl und betrachtete sie. Würde sie das jemals lernen? Plötzlich klopfte ihr jemand auf die Schulter. Als sie den Kopf drehte, sah sie Mestre Emilio, der ihr entgegenlächelte.
    »Jetzt ist es so weit«, sagte er und hielt zwei Stöcke aus Holz vor ihr hoch. Ganz oben waren Riemen befestigt. Am anderen Ende waren zwei Schuhe angebracht. »Mit diesen hier wirst du anfangen«, sagte er. »Deine Knie müssen sich erst daran gewöhnen, dass sie bald zwei neue Beine haben werden. Anfangs wird es wehtun. Du wirst dir Stellen aufscheuern, aber in ein paar Monaten sind die Wunden verheilt.«
    Während Mestre Emilio redete, war ein anderer Mann in einer weißen Jacke zum Rollstuhl gekommen. Er war viel jünger als Mestre Emilio.
    »Das ist Benthino«, sagte Mestre Emilio. »Er wird dir helfen, bis du wieder gehen kannst.«
    Benthino lächelte sie an. »Sofia«, sagte er, »am besten, wir werden Freunde. Wir werden uns lange Zeit jeden Tag treffen.«
    »Ja«, sagte Sofia.
    Sie befestigten die beiden Stöcke an ihren Knien. Dann richtete sie sich im Stuhl auf. Sie spürte, wie ihre Knie schmerzten. Trotzdem hätte sie am

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