Geheimnis des Verlangens
irgend etwas, das eine gesunde Frau mit Leichtigkeit überstanden hätte.«
»Und mein Vater?«
»Leos wurde von hinten erdolcht. An seinem eigenen Tisch, während er zu Abend aß. Der Attentäter hatte sich langsam in der Küche hochgearbeitet, bis man ihm schließlich gestattete, bei Tisch zu bedienen. Er hatte keine Hoffnung zu entkommen. Er wusste das. Ein Geständnis ergab später, dass er an irgendeiner tödlichen Krankheit litt, dass das Geld, das er dafür bekommen hatte, den König zu töten, für seine Familie war — seine einzige Möglichkeit, sie wohlversorgt zurückzulassen.«
»Aber hat er auch zugegeben, dass ein Stamboloff ihn für die Tat bezahlt hatte?«
»Nicht ein Stamboloff, Prinzessin. Diese Familie war mittlerweile so arrogant in ihrem Haß auf die J anaceks geworden, dass sie kein Geheimnis darum machten, wer den Mann bezahlte. Er zählte sie alle auf, von den beiden noch lebenden Frauen bis hin zu Ivan, Janos' jüngstem Enkelsohn. Und da sie alle irgend etwas Wertvolles zu der Bezahlung des Attentäters beigetragen hatten, hatten sie alle ihren Anteil an diesem Sieg. Und für sie war es ein Sieg. Man holte einen Barany auf den Thron, weil es nicht zu erwarten war, dass die letzte Janacek das Jahr überleben würde, falls sie in Cardinia blieb.«
»Also wurde ich weggeschickt?«
»Nicht sofort. Nicht vor dem ersten Anschlag auf Euer Leben. Eure Amme starb an Eurer Stelle. Da erst ersann mein Vater den Plan, Euch heimlich wegzuschicken, und zwar in Begleitung der Baronin Tomilova, die ganz allein um Euren Aufenthaltsort wissen sollte. Außerdem setzte er einen hohen Preis auf den Kopf eines jeden Stamboloff aus.«
»Sogar die Kinder?«
»Sie scherten sich keinen Deut um Kinder«, erwiderte er rauh. »Euer jüngster Bruder war sechs Jahre alt. Ihr wart fünf Monate alt, als Eure Amme die Kugel, die für Euch bestimmt war, abfing. Das war eine Blutfehde, Tanya. So etwas hört erst auf, wenn die eine oder die andere Familie vollkommen ausgerottet ist. Es hätte nicht aufgehört, bevor ihr tot wart. Wir konnten Euch nicht nach Hause holen, bevor nicht der letzte von ihnen gefunden und beseitigt war. Und nur einen von ihnen konnte man kampflos gefangennehmen und zurückbringen, um ihn dann wegen Hochverrats exekutieren zu lassen. Die anderen kämpften bis zum letzten Atemzug. Und der letzte Stamboloff, Ivan, wurde erst in diesem Jahr gefunden. Aber selbst da wäre er beinahe auf einem Schiff entkommen. Er musste den Hafen jedoch so schnell verlassen, dass er nicht genug Seeleute an Bord hatte, um mit dem aufkommenden Sturm fertigzuwerden. Sein Schiff ging im Schwarzen Meer unter. Sandors Männer waren nahe genug dahinter, um die Überlebenden aufzunehmen. Ivan war nicht unter ihnen.«
»Seid Ihr sicher, dass er der letzte war?«
»Die Stamboloffs waren nicht nur Feinde Eurer Familie. Ihr Attentat auf den König von Cardinia machte sie zu Feinden der Krone. Man bildete eine Einheit von zwanzig Männern, deren einzige Aufgabe es war, sie zur Strecke zu bringen. Diese Männer haben keine Fehler gemacht. Es mag zwanzig Jahre gedauert haben, aber sie waren gründlich.«
»Aber ein Kind, das mittlerweile zum Mann geworden ist, ein Kind, das man zehn oder fünfzehn Jahre lang nicht gesehen hat. Wer könnte ihn schon erkennen und mit Sicherheit sagen: >Dies ist ein Stamboloff«
Stefan grinste. »Ein exzellenter Einwand, kleine Tanya.« Er fuhr fort, ohne das Erröten wahrzunehmen, das diese vertrauliche Anrede bewirkte. »Aber die Stamboloffs waren eine jener seltenen Familien, deren Mitglieder alle gleich aussehen — zumindest die Männer taten das. Alle überlebenden Enkelsöhne hatten eine ziemlich dunkle Haut, waren blond und blauäugig, und sie alle besaßen eine auffällige Ähnlichkeit mit Janos und seinen Söhnen, als sie erwachsen waren. Und nicht nur einer, sondern fünf von Sandors Männern kannten die Stamboloffs persönlich. Wenn sie einen fanden, gab es niemals einen Zweifel, dass sie den richtigen Mann gefunden hatten.«
Tanya schüttelte langsam den Kopf, wie um das Gefühl zu leugnen, das in ihr aufwallte. »So viele Menschen musste n sterben, weil ein alter Mann nicht akzeptieren konnte, dass sein Sohn ein Mörder war. Yuri muss seinen wahren Charakter gut vor den Menschen verborgen haben, die ihn liebten.«
»Das liegt in der menschlichen Natur.«
»Tut es das?« fragte sie im Flüsterton. »Ich kann das nicht beurteilen. Ich hatte niemals Menschen, die ich lieben
Weitere Kostenlose Bücher