Geheimnis des Verlangens
oder mehrere der vier robusten, kampferprobten Männern in ihrer Nähe waren, um sie zu beschützen, zog sie es doch vor, sich auf sich selbst verlassen zu können.
Und gerade jetzt würde das Messer sehr hübsch am Hals der Rothaarigen aussehen, zusammen mit der eindringlichen Aufforderung, schleunigst zu verschwinden. Allerdings bekäme sie es dann wohl mit Stefan zu tun. Und sie konnte sich nicht vorstellen, dass er über eine solche unerwartete Zurschaustellung von Eifersucht besonders erfreut wäre. Und es war Eifersucht. Tanya konnte diesem Gefühl kaum einen anderen Namen geben, da der Anblick dieser Frau, wie sie Stefan küßte, sie fast verrückt machte, verrückt genug jedenfalls, um ihr die Augen auszukratzen.
Aber wie sollte sie Stefan das erklären? Er würde ihr das ebensowenig glauben wie ihre spöttische Bemerkung, sie sei vielleicht doch noch Jungfrau. Warum sollte er auch? Bei ihrer letzten Begegnung, bevor die Karpathia in See stach, hatte sie ihn unmissverständlich zurückgewiesen. Sie könnte es natürlich auch mit der Wahrheit versuchen. Das war das beste, was ihr im Augenblick einfiel. Sie könnte ihm erklären, dass sie sich schließlich mit ihrer bevorstehenden Hochzeit abgefunden und es sich jetzt in den Kopf gesetzt habe, dass er ihr gehöre. Und wenn sie ihn nun einmal bekäme, dann wolle sie ihn auch mit niemandem teilen.
Aber das konnte sie ihm natürlich nicht sagen, ohne sich damit selbst vollkommen zum Narren zu machen, weil er nicht dasselbe für sie empfand. Er hatte zugegeben, sie zu begehren, aber im gleichen Atemzug festgestellt, dass ihm dieses Gefühl verhaßt war. Und sein Verlangen nach ihr war eine so vorübergehende Erscheinung, dass es kaum der Rede wert war. Einmal — das war alles, was er von ihr wollte. Und wahrscheinlich war es nur der Reiz der Herausforderung, weil sie ihn zurückgewiesen hatte. Wirklich großartig.
Noch aufschlussreicher fand sie seinen Widerwillen dagegen, sie heiraten zu müssen. Und dieser Widerwille war von Anfang an sonnenklar gewesen. Wenn es nicht seine Pflicht wäre, würde er es niemals tun.
Vasili hatte ihr von Stefans Mätresse erzählt. Es wäre ihr nur nicht im Traum eingefallen, dass sie diese Frau jemals treffen musste . Ebenso wenig war es ihr in den Sinn gekommen, dass Stefan wahrscheinlich keinerlei Absicht hatte, seine Mätresse aufzugeben. Warum sollte er auch? Er war gezwungen, Tanya zu heiraten, aber hier stand nun eine Frau, der er seine Zuneigung freiwillig schenkte.
Es war ein Glück, dass Stefan die Frau davon abhielt, sich abermals an ihn zu hängen, weil Tanya beim besten Willen nicht sagen konnte, was sie getan hätte, wenn sie den beiden noch einmal zusehen musste , wie sie sich küssten . Stattdessen legte er seinen Arm um ihre Taille und drehte sie zu Tanya um. Und in dem Augenblick, als grüne Augen auf blaue trafen, wusste Tanya, dass diese kleine Zurschaustellung von Zuneigung ihretwegen stattgefunden hatte. Stefans Mätresse musste in ihr eine Bedrohung sehen. Was für ein Witz.
Aber jede Befriedigung, die diese Erkenntnis ihr vielleicht verschafft hätte, wurde von Stefans Gesichtsausdruck ruiniert. Er war so erfreut darüber, wieder mit seiner Mätresse vereint zu sein, dass er nicht einmal versuchte, es zu verbergen. Tanya kam nicht auf die Idee, seine unverhohlene Freude dem Umstand zuzuschreiben, dass sein Vater noch lebte.
»Prinzessin Tatiana, darf ich Euch Lady Alicia Huszar vorstellen? Alicia wollte Euch vor den anderen Mitgliedern des Hofes vorgestellt werden, weil sie gern zu Eurem persönlichen Gefolge gehören möchte, wenn Ihr erst Königin seid.«
Nur über meine Leiche, Missy. Nein, über ihre, korrigierte sich Tanya, aber sie würde lieber sterben, als ihre Gefühle so deutlich zu zeigen, wie diese beiden es gerade getan hatten. Stefan würde nicht erfahren, dass sie grün und gelb vor Eifersucht war. Daher wagte sie es nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen, sondern quittierte die Vorstellung nur mit einem Nicken.
Alicia sah sich zu einer oberflächlichen Verneigung gezwungen, jetzt, da Tanyas Identität geklärt war. Immerhin war Tanya eine königliche Prinzessin. Selbst diese kleine Geste war ihr gewiss ein Dorn im Auge, aber Tanya konnte nicht einmal bei dem Gedanken daran ein wenig Befriedigung empfinden.
»Es tut mir leid, Hoheit«, sagte Alicia, die jetzt eine Überraschung vortäuschte, die unmöglich echt sein konnte. »Ich habe Euch überhaupt nicht bemerkt.«
Lügnerin.
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