Geheimnis des Verlangens
Erinnerung an sie hatte. Wie sollte sie also um sie trauern? Wenn es etwas gab, das sie zu betrauern hatte, dann wäre es dieser Mangel an Erinnerungen.
Sie versuchte, es Stefan zu erklären. »Wenn Ihr zögert, um mich zu schonen, dann ist das ganz unnötig. Diese Leute mögen zwar Blutsverwandte von mir gewesen sein, aber ich habe zwanzig Jahre lang nichts von ihnen gewusst , und ich weiß immer noch nichts von ihnen außer dem, was Ihr mir erzählt. Und nach dem, was ich bisher gehört habe, empfinde ich für die Stamboloffs genausoviel Sympathie wie für die Janaceks — mit Ausnahme von Yuri.«
»Dann wollen wir doch mal sehen, ob ich das nicht ändern kann, Prinzessin. Euer Bruder, der in dieser ganzen Angelegenheit völlig unschuldig war, wurde eines Nachts aus seinem Bett gezerrt, vor die gesamte Stamboloff-Familie geschleift und dort einem Scheingericht präsentiert, das ihn für schuldig befand. Janos ließ ihn an eine Mauer in seinem Schloss hof binden, und jedes Mitglied dieser verdammten Familie feuerte eine Kugel auf ihn ab, selbst Janos' achtjähriger Enkelsohn. Seinen Körper haben sie draußen vor dem Palast liegenlassen. Neben ihm fand man einen blutdurchtränkten Zettel, auf dem stand >Ein Sohn für einen Sohn<. Dies war jedoch noch kein ausreichender Beweis gegen Janos — nicht bis eine seiner Schwiegertöchter bei irgendeinem Fest zuviel trank und vor den falschen Leuten mit der Tat prahlte.«
»Ich hoffe, Janos wurde auf der Stelle erschossen!«
Stefan hob eine Augenbraue. Langsam kehrte die Farbe in seine blutleeren Wangen zurück.
»Kein Mitleid mehr für diesen Fanatiker?«
»Keins«, sagte sie etwas ruhiger.
»Nun, er wurde nicht auf der Stelle erschossen. Er bekam eine Gerichtsverhandlung und wurde zum Tod durch Erhängen verurteilt. Am Tag nach der Exekution fand man Leos' einzigen Bruder, dessen Frau und ihre beiden Kinder mit durchgeschnittenen Kehlen in ihrem Haus. Eine dort zurückgelassene Notiz war diesmal unmissverständlich : >Jetzt stirbt jeder Janacek.<«
»Aber das war ein brutaler Racheakt. Wie konnten sie das rechtfertigen?«
»Sie brauchten das nicht zu rechtfertigen. Zwei von ihren eigenen Leuten waren tot. Die übrigen betrachteten das Ganze nun als einen persönlichen Krieg mit dem König, eine Blutfehde. Und es war noch eine beträchtliche Anzahl von ihnen übriggeblieben — Janos' zweiter Sohn, fünf Enkelsöhne, zwei jüngere Brüder und drei Neffen. Außerdem hatte Janos selbst nach Rache geschrien, noch mit seinen allerletzten Worten am Schafott, kurz bevor er gehängt wurde. Aber jetzt, wo Leos selbst bedroht wurde, war diese Rache Hochverrat. Die fünf älteren Männer wurden getötet, als sie sich ihrer Gefangennahme widersetzten, die Enkelsöhne und der eine noch verbliebene Neffe, damals alle unter achtzehn Jahren, wurden lediglich verbannt.«
»Ihr habt die Frauen nicht erwähnt. Was geschah mit dieser Schwiegertochter?«
»Es gab zwei Stamboloff-Gattinnen, und Janos hatte eine Tochter. Sie wurden schließlich auch aus Cardinia verbannt, zusammen mit ihren Männern, als der Verdacht aufkam, dass eine von ihnen Eure Schwester in ihrem Bad ertränkt hatte.«
»Ich hatte auch eine Schwester?« fragte Tanya mit dünner Stimme.
»Sie war vierzehn, das Zweitälteste Kind. Aber auch, als alle Stamboloffs außer Landes geschafft waren, hörte das Morden noch nicht auf. Ion Stomboloff, Janos' ältester Enkelsohn, wurde bei dem Versuch, Leos' Vetter zu töten, gefangengenommen. Dieser Vetter war der einzige noch lebende Sohn Eures damals schon verstorbenen Großonkels.«
»Warum er?«
»Er trug den Namen Janacek«, sagte Stefan einfach.
»Aber er überlebte?«
»Nein, einen Monat später versuchten sie es wieder, und diesmal mit Erfolg. Es war übrigens Jan o s' Tochter, die man fand, bevor sie die Stadt verlassen konnte. Dann, einige Wochen bevor Ihr geboren werden solltet, wurden Eure beiden jüngeren Brüder erschossen. Dadurch setzten bei Eurer Mutter die Wehen früher ein. Ihr wart ein sehr kleines Baby, aber gesund. Eure Mutter hat sich jedoch nie wieder ganz erholt. Sie hatte alle ihre Kinder außer Euch verloren. Und Ihr wurdet noch am Tage Eurer Geburt versprochen. Leos bestand darauf, den Bund auf der Stelle zu besiegeln — ein Zeichen dafür, dass er nicht erwartete, selbst noch viel länger zu leben. Man sagt, dies habe endgültig zu dem Verfall Eurer Mutter geführt. Als Ihr drei Monate alt wart, starb sie eines natürlichen Todes, an
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