Geheimnis Um Mitternacht
deutlich besser darin sind, sich selbst zu belügen als andere."
Dann spazierte sie mit einem Schmunzeln davon.
Irene redete sich ein, dass Francesca unrecht hatte. Sie belog sich wegen ihrer Gefühle für Gideon nicht selbst.
Vielmehr war sie sich durchaus bewusst, wie gefährlich nah sie daran war, sich in ihn zu verlieben. Aber sie wusste auch, dass sie das nicht zulassen würde. Sie würde nicht erlauben, dass ihr Herz sie dazu brachte, törichte Entscheidungen zu treffen, wie es so vielen anderen Frauen passiert war.
Also hielt sie Abstand zu ihm, lebte sich in die Rolle als Anstandsdame ein und half Francesca bei allem, was getan werden musste. Den ersten Tag verbrachte sie damit, mit den anderen jungen Leuten den Besitz zu erkunden, aber sie ritt nicht neben Gideon und sprach auch nicht mit ihm. Sie bemerkte, wie er sein Pferd erst neben die eine, dann neben eine andere junge Frau lenkte, mit jeder redete und, so schien es ihr, mit Norah Ferrington sogar ein wenig flirtete. Im Salon nach dem Diner an diesem Abend sah sie zu, wie er freundlich mit den Mädchen plauderte und höflich zuhörte, als sie Klavier spielten oder sangen. Er stand sogar neben Marian Salisbridge, um die Noten für sie umzublättern. Am nächsten Tag beobachtete sie, wie er bei einer Partie Rasentennis und danach beim Tee nacheinander jeder der Frauen seine Aufmerksamkeit schenkte.
Es überraschte sie ein wenig, dass er sich tatsächlich bemühte, sich mit den Kandidatinnen, die Francesca und seine Großtante für ihn ausgewählt hatten, zu beschäftigen. Offensichtlich hatte er ihre eigene Weigerung, ihn zu heiraten, akzeptiert und war nun darauf bedacht, jemand Zugänglicheren zu finden. Weder suchte er das Gespräch mit Irene, noch forderte er sie auf, als die Mädchen Pansy und Odelia dazu überredeten, die Teppiche in der Mitte des Musikzimmers aufrollen zu dürfen, weil sie tanzen wollten. Piers bat sie um einen Tanz genau wie Gideons Onkel Jasper und Mr. Surton und sogar Lord Hurley, aber Gideon kam nicht zu ihr.
Dass er sie so überging, blieb auch von den anderen nicht unbemerkt. Denn als sie dastand und den tanzenden Paaren zusah, trat Lady Teresa zu ihr und meinte: „Männer sind doch unbeständige Geschöpfe."
Kühl sah Irene sie an. „Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen."
„Ach nein?" Teresa lächelte und zuckte die Schultern. „Wenn Sie vorgeben wollen, nicht gehofft zu haben, ihn zu bekommen, wer bin ich dann, Ihnen zu widersprechen." Sie machte eine Pause und fuhr dann fort: „Es ist ohnehin gut, dass Sie nicht versucht haben, ihn für sich zu gewinnen. Wer auch immer ihn heiratet, sein Herz wird ihr nicht gehören. Er hat eine Mätresse von niederer Herkunft in London, und sie ist es, die er liebt."
„Wie bitte?" Überrascht drehte sich Irene zu Teresa und sah sie fassungslos an. Im gleichen Moment wurde ihr bewusst, dass sie der Frau zu viel von ihren Gefühlen gezeigt hatte. Deshalb zuckte sie die Schultern und kämpfte um einen gleichgültigen Ausdruck. „Viele Männer haben Mätressen, vor allem bevor sie heiraten."
„Nun, er hat vor, sie zu behalten. Ihr Name ist Dora. Ich habe gehört, wie er mit Lady Odelia über sie gestritten hat. Radbourne hat gesagt, dass er Dora niemals aufgeben wird."
Irene fühlte sich für einen Moment, als könnte sie nicht atmen, und die Intensität des Schmerzes, der ihre Brust durchfuhr, erschreckte sie. Dora. Es war schon Jahre her, aber sie erinnerte sich deutlich an den Namen. Gideon hatte ihn erwähnt, als sie ihn das erste Mal sah. Dora war der Name der Frau, von der ihr Vater hatte ablassen sollen. Die Frau, die Gideon so entschlossen beschützen wollte, dass er einen Aristokraten angegriffen hatte.
Und nun, so viele Jahre später, war sie immer noch seine Geliebte. Ganz offensichtlich besaß diese Dora sein Herz, und keine Ehefrau würde es je gewinnen.
„Tatsächlich?", sagte sie schließlich und versuchte, ihre Stimme kühl klingen zu lassen. „Es scheint, dass er dasselbe Problem wie sein Vater hat - eine Frau zu heiraten, während er noch an eine andere gebunden ist."
Teresas Augen flammten bei Irenes Worten wütend auf. Abrupt drehte sie sich um, stolzierte davon und ließ Irene zurück,
die sich wegen ihrer Worte ein wenig schuldig fühlte. Sie hätte nicht so grausam sein dürfen, auch wenn Teresa sie verletzt hatte. Aber sie war nicht vorbereitet gewesen auf den Schmerz, der sie erfüllte, als sie hörte, dass Gideon eine andere Frau
Weitere Kostenlose Bücher