Geheimnis von St. Andrews
gestellt, dass ich junge Kunstgeschichtler ausbilde. Andernfalls drehen sie mir den Geldhahn zu. Ich brauche die Mithilfe einer Praktikantin ungefähr so nötig wie einen Pickel auf der Nase. War das deutlich genug?“
Cherry unterdrückte den Zorn, der in ihr hochstieg. Dieser Blackburn war tatsächlich noch unangenehmer als der Kerl draußen auf dem Gerüst, obwohl ihr das kaum möglich erschien. Doch sie ließ sich nicht von ihm beirren, denn sie wusste, was sie wollte.
„Sie waren sehr ehrlich, Mr Blackburn, dann will ich es auch sein. Ich bin hier, und ich bleibe hier. Ich rate Ihnen dringend, mir etwas beizubringen. Denn wenn Sie das nicht tun, werde ich meinem Professor davon berichten. Und dann wird Ihnen der Geldhahn schneller zugedreht, als Sie einen Pickel auf Ihrer Nase ausdrücken können.“
Blackburn riss die Augen auf. Offensichtlich hatte er nicht mit einer derartig scharfzüngigen Praktikantin gerechnet. Obwohl Cherry auf den ersten Blick süß und harmlos wirkte, ließ sie sich nichts gefallen. Nicht umsonst trainierte sie seit drei Jahren Karate. Der Kampfsport hatte ihr schon oft auch außerhalb der Sporthalle dabei geholfen, selbstbewusst aufzutreten.
Blackburn atmete tief durch, bevor er wieder den Mund öffnete. „Okay, Miss Wynn. Ich würde sagen, die Fronten sind jetzt geklärt. Wenn Sie mir nicht allzu sehr auf die Nerven gehen, dann werden wir miteinander auskommen. Ich bin ein altmodischer Mensch und besitze beispielsweise noch nicht einmal ein Handy. Stellen Sie sich also darauf ein, dass Sie von mir althergebrachte Handwerkstechniken lernen, die schon völlig in Vergessenheit geraten sind. Wir wollen diese Kirche ja in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen und nicht ein Gebäude des 21. Jahrhunderts aus ihr machen. Ein Teil der Bevölkerung meidet St. Andrews, weil es der Volkssage nach einen Fluch geben soll. Ein Mann ist hier angeblich vor Jahrhunderten spurlos verschwunden. Sein Geist soll immer noch durch die Krypta spuken. Eine typische Geschichte, wie sie auf dem flachen Land während langer Winterabende am Kaminfeuer erzählt wurde.“
„Ich verstehe, Sir.“
„Das bezweifle ich. Aber wie auch immer, unser Team ist sehr überschaubar. Da gibt es zunächst Sam Lonnegan. Er ist ein kräftiger Mann und erledigt die körperlich anstrengenden Arbeiten. Momentan arbeitet er draußen auf dem Gerüst.“
„Ich habe ihn schon kennengelernt“, sagte Cherry ohne Begeisterung. Kräftiger Mann? „Stumpfer Klotz“ war in ihren Augen die passendere Bezeichnung.
„Und dann geht mir noch Mark Gilmore zur Hand. Er stammt aus Pittstown und wurde in dieser Kirche sogar getauft. Mark ist Zimmermann und hauptsächlich für die Holzarbeiten zuständig“, fuhr Blackburn fort.
Cherry fragte sich, ob sie bei diesem Mark Gilmore genauso wenig willkommen sein würde wie bei Blackburn und seinem muskelbepackten Helfer Sam Lonnegan. Doch bevor sie weiter über diese Frage nachdenken konnte, kam jemand aus der Sakristei. Der Mann trug eine Soutane und hatte schneeweißes Haar. Der Restaurator deutete auf ihn. „Das ist Father Nolan, man könnte ihn als Hausherrn von St. Andrews bezeichnen.“
Der Geistliche lächelte und zeigte auf die Darstellung von Jesus Christus am Kreuz. „ Das ist der Hausherr, ich bin sozusagen nur eine Art Verwalter. Sie müssen die neue Praktikantin sein. Ich hörte schon, dass wir Zuwachs bekommen.“
Der Pfarrer war die erste Person in Pittstown, die sich über Cherrys Ankunft zu freuen schien. Sie stellte sich ihm vor und versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Father Nolan war gewiss freundlich zu ihr, aber er war eben vor allem ein Geistlicher. Außerdem hätte er vom Alter her ihr Dad sein können, vielleicht sogar ihr Großvater. Durch ihr Praktikum würde sie wohl kaum tolle neue Leute kennenlernen, die so jung waren wie sie. Aber hatte Blackburn nicht erwähnt, dass es in Pittstown eine Disco gab? Oder war das nur ein dummer Witz gewesen?
„Der Gottesdienst wird momentan im Gemeindehaus nebenan abgehalten“, fuhr der Pfarrer fort. „Das ist so, damit die Renovierungsarbeiten nicht unterbrochen werden. Allerdings schließe ich die Kirchentür niemals ab, damit jederzeit Gläubige zum stillen Gebet kommen können.“
„Ich halte das nach wie vor für einen schweren Fehler, Hochwürden“, knurrte Blackburn. „Zwar besitzt St. Andrews keine wertvollen Kunstschätze, die gestohlen werden könnten. Aber die Leute
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