Geheimnis von St. Andrews
Arbeitstag.“ Cherry blieb hartnäckig.
„Mr Blackburn teilt die Arbeiten ein.“
Ungeduldig verdrehte Cherry die Augen. Aber das konnte der Arbeiter nicht sehen, weil er sie nach wie vor keines Blickes würdigte.
„Okay, und wo finde ich Mr Blackburn?“
„Er ist drinnen.“
„Vielen Dank für die freundliche Auskunft“, entgegnete Cherry ironisch. Wütend drückte sie die schwere Kirchentür auf. Ob alle Einheimischen so merkwürdig waren? Doch während sie sich diese Frage stellte, wurde ihr klar, dass der gleichgültige Muskelmann nicht aus Pittstown stammen konnte. Sie hatte bemerkt, dass er mit einem leichten Londoner Akzent sprach. Ob er so unausstehlich war, weil sein Schicksal ihn in die tiefste Provinz verschlagen hatte? Cherry hoffte nur, dass sie nicht nach einiger Zeit genauso wurde.
Aber vielleicht waren ja nicht alle Typen in Pittstown solche Fieslinge wie dieser Arbeiter.
Cherrys Schritte hallten auf dem Granitfußboden der alten Kirche wider. Sie trat in den Mittelgang zwischen den Kirchenbänken und schaute Richtung Altar, um die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen.
Sie führte sich vor Augen, dass die Kirche viele Jahrhunderte lang das Zentrum des Ortes gewesen war. Als es noch kein Internet, Fernsehen oder Radio gab, bestand das Leben der Menschen größtenteils aus harter Arbeit auf den Feldern. Die sonntäglichen Gottesdienste waren eine willkommene Abwechslung, obwohl viele Bauern während der Predigt vor Erschöpfung einschliefen.
„Was haben Sie hier verloren?“
Der scharfe Tonfall einer dunklen Männerstimme riss Cherry aus ihren Gedanken. Sie war sich nicht sicher, aus welcher Richtung der Ruf gekommen war. Die schlecht beleuchtete Kirche war mit ihren Nebengewölben, den Kreuzwegstationen und dem Zugang zur Sakristei sehr unübersichtlich. Doch dann sah sie den Mann, der sich auf sie zubewegte. Er war untersetzt und bärtig. Trotz des Sommerwetters trug er einen Rollkragenpullover und eine Cordhose. Allerdings war es in dem Gotteshaus auch ziemlich frisch, wie Cherry zugeben musste. Von den sommerlichen Temperaturen, die draußen herrschten, war hinter den dicken Kirchenmauern nichts zu spüren.
„Sie müssen Harris Blackburn sein“, sagte Cherry und streckte ihm ihre Rechte entgegen. „Ich habe Ihr Foto gesehen, als ich Ihr Buch über Kirchenrestaurierung gelesen habe. Ich bin Cherry Wynn von der City University of London. Ihre neue Praktikantin steht vor Ihnen.“
Der grimmige Gesichtsausdruck des Restaurators wurde milder, aber nur ein wenig. Immerhin schüttelte er Cherrys Hand. Seine mit Steinstaub bedeckten Finger fühlten sich hart und fest an. Mit einem langen Blick musterte er Cherry.
„Soso, Sie wollen mich also bei meiner Arbeit unterstützen, Miss Wynn. Und im ersten Moment dachte ich, Sie hätten sich in der Tür geirrt. Ich nahm an, Sie wollten in die Disco von Pittstown, um an der Wahl zur Miss Suffolk teilzunehmen.“
Blackburn zeigte mit seiner ironischen Bemerkung deutlich, was er von Cherrys Outfit hielt. Unwillkürlich schaute sie an sich herab. Sie trug ein luftiges ärmelloses Sommerkleid. Es war wirklich etwas kurz. Aber sie fand eigentlich, dass sich ihre Beine sehen lassen konnten.
„Das ist natürlich nicht die passende Arbeitskleidung, Sir“, stammelte sie.
„Für eine Restauratorin nicht, für ein Animiermädchen schon“, stichelte Blackburn. „Wie auch immer, die Renovierung von St. Andrews ist eine harte und oftmals eintönige Arbeit. Sind Sie sicher, dass Sie sich das antun wollen, Miss Wynn?“
Cherry nickte heftig. „Auf jeden Fall, Sir. Es tut mir leid, dass ich so leicht bekleidet hier hereingeschneit bin. Aber ich bin direkt vom Bahnhof gekommen und habe noch nicht einmal mein Gepäck abgestellt.“
Cherry deutete auf ihre Reisetasche, die sie bei sich hatte. Blackburn nickte unwillig. Seine Freude, eine neue Hilfskraft zu bekommen, hielt sich sehr in Grenzen. Das war jedenfalls Cherrys Eindruck.
„Ich will offen mit Ihnen sprechen, Miss Wynn. Wissen Sie, warum Ihnen dieses Praktikum angeboten wurde?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich weil Sie Studenten etwas beibringen wollen“, antwortete sie.
Der berühmte Restaurator schüttelte den Kopf. „Sie sind noch naiver, als ich befürchtet habe. Ich rede jetzt Klartext, Miss Wynn. Die Arbeiten in dieser Kirche kosten Geld, und das kommt teilweise von der Kirchenverwaltung und teilweise von Ihrer Hochschule. Doch die City University hat die Bedingung
Weitere Kostenlose Bücher